: Festivalchef mit Faible für Asien-Filme
Marco Müller leitet schon seit dem Jahr 2004 die Filmbiennale in Venedig. Das Herz des 55-Jährigen schlägt besonders für längst vergessenene B-MoviesFOTO: BIENNALE
Die Retrospektive der diesjährigen Filmbiennale in Venedig gestaltet sich vergleichsweise zahm. Unter dem Titel „These Phantoms – Italian Cinema Rediscovered“ laufen Filme, die zwischen 1946 und 1975 entstanden. Rossellini, Pasolini, Fellini – die großen Herren des italienischen Films sind zurück auf dem Lido. Wenn auch mit kleinen, fast vergessenen Filmen oder mit Werbespots.
Marco Müller, seit 2004 Biennale-Direktor, hat ein Herz für Trash. Das zeigt sich auch in der eigenwilligen Bestückung der Retrospektiven. Sowjetische Propaganda-Musicals, Spaghetti-Western, vergessene Trashfilme aus Asien. All das lässt der 55-Jährige aufspüren und präsentieren.
Die Würdigung solcher B-Genres, aber auch von Avantgarde- und Animationsfilm ist das Besondere der Filmbiennale. Zwar mehren sich die Stimmen, die behaupten, das Festival büße an Relevanz ein, da die großen US-Produktionen mit ihren Stars nur in den ersten Tagen am Lido gastieren und dann nach Toronto zum nächsten Festival reisen. Müller hat zudem damit zu kämpfen, dass die Infrastruktur auf der Lido-Insel bei weitem nicht reicht, um einen großen Filmmarkt zu etablieren. Trotzdem überzeugt sein vielseitiges Programm, das keine Berührungsängste gegenüber dem Neuen, dem Sonderbaren hat. Sein Vertrag wurde Ende 2007 um vier Jahre verlängert.
Müller beschäftigte sich schon mit dem asiatischen Film, als dieser noch lange nicht im europäischen Diskurs und Mainstream angekommen war. 1978 kuratierte der Sinologe im Rahmen des Turiner Filmfestivals eine große Retrospektive des chinesischen Kinos. Auch als Produzent konzentrierte er sich auf Weltkino, auf Filme, „die sonst keiner machen will“, wie der Spiegel schrieb. Müller begreift den Film als Medium der Differenz: „Das Kino lehrt uns das richtige Sehen“, sagt er, „es lehrt uns, gegen den Strom zu schwimmen.“ Internationalität und Grenzgängertum sind in seiner Biografie angelegt: Der Italiener hat französisch-brasilianisch-schweizerische Wurzeln und verbrachte einen Großteil seiner Studienzeit in China.
Als Müller in Venedig den Interimsleiter Moritz de Hadeln ablöste, wurde spekuliert: Angeblich wünschte sich das italienische Kultusministerium mehr Glamour, mehr Stars – und mehr italienische Filme statt Avantgarde aus Asien. Müller hielt dem Gegenwind aus der rechten Kulturpolitik stand, vermochte aber, beiden Seiten gerecht zu werden: seiner eigenen Agenda, das außereuropäische und in Maßen subversive Kino zu unterstützen, sowie der Forderung, die Verankerung des Festivals an seinem Ort auch im Programm sichtbar zu machen. DANA BÖNISCH