: „Virtuos und nuancenreich“
Am Wochenende beginnt das Morgenland Festival in Osnabrück. Ein Gespräch mit dem Leiter Michael Dreyer über den Kulturaustausch mit Ländern wie Iran und die haltlosen Angriffe Henryk M. Broders
1970 geboren, hat Gitarre studiert, eine Plattenfirma gegründet und war einige Zeit als Produzent tätig. 2003 veranstaltete er anlässlich des EU-Beitritts der baltischen Staaten das Festival „NordTöne“. 2005 rief er das Morgenland Festival in Osnabrück ins Leben. Musikalisches Schwerpunktthema des 4. Morgenland Festivals vom 19. September bis 5. Oktober ist Syrien, von wo etwa aus Damaskus die Syrian Big Band anreist. Iran wird durch die Werke des früheren Dirigenten der Teheraner Symphoniker, Nader Mashayekhi, Akzente setzen. Programm: www.morgenland-festival.com
INTERVIEW ALESSANDRO TOPA
Über 40 Erkundungsreisen hat er in den letzten vier Jahren nach Israel, Palästina, Syrien, Iran und Pakistan unternommen. Der Aufwand hat sich gelohnt: Mit dem Morgenland Festival ist es Michael Dreyer gelungen, in der westfälischen Friedensstadt Osnabrück eines der wichtigsten Festivals für Musik und Kultur des Nahen und Mittleren Ostens zu etablieren.
taz: Herr Dreyer, vor einem Jahr gelang es Ihnen, mit den Osnabrücker Symphonikern erstmals seit der Machtergreifung der Islamisten ein westliches Orchester in Teheran spielen zu lassen und so den Besuch der Teheraner Symphoniker 2006 in Osnabrück zu erwidern. Insbesondere der Publizist Henryk M. Broder hat daraufhin polemisiert, sie hätten dabei nicht ausreichend gegen die Menschenrechtsverletzungen des Regimes protestiert.
Michael Dreyer: Wir haben Herrn Broder im Rahmen des diesjährigen Festivalprogramms zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Es ist eine Debatte, die geführt werden muss. Aber Broders Unterstellung (in dem Artikel „Die wollen nur spielen“, Spiegel Online vom 31. 8. 2007; Anm. d. Red.), wir hätten uns so instrumentalisieren lassen wie die Sportler bei der Olympiade 1936 von den Nationalsozialisten, ist eine ungeheuerliche Verkehrung der Tatsachen, die nur dazu führte, dass ich bei meiner Rückkehr eine Flut von Beschimpfungsmails empfangen habe. Das tat weh.
Das hat sie tatsächlich getroffen?
Wenn man glaubt, Positives bewirkt zu haben, jedoch wie eine Art Abendlandsverräter empfangen wird, muss man sich schon erst fangen.
Aber ein Gedanke ist doch nicht von der Hand zu weisen: Konzerte wie das in Teheran können zur Verharmlosung und Bemäntelung akuter politischer Missstände missbraucht werden, oder?
Gewiss. Aber glauben Sie, die betreffenden iranischen Behörden im Ershad-Ministerium für Kultur oder die islamische Führung warten auf nichts anderes als darauf, Konzerte mit europäischen Orchestern zu organisieren, um Propaganda im In- und Ausland zu machen? Es war ein Ereignis, das gegen den Widerstand konservativer Kräfte durchgesetzt wurde und von jedem der Anwesenden als kleiner Sieg der iranischen Zivilgesellschaft erlebt wurde! Eine Woche vor dem Konzert war noch alles abgesagt worden. Wir saßen auf Flugtickets für 30.000 Euro und hatten ein Jahr umsonst gearbeitet.
Wie kam es, dass das Konzert dennoch stattfand?
Unter den Menschen, die in Iran einflussreich sind, gibt es nach wie vor auch solche, die den Mut und Willen haben, sich für den Dialog stark zu machen und eine kulturelle Öffnung des Landes befürworten.
Das heißt, Sie hatten entsprechende Kontakte aufgebaut?
Das ist Teil meines Berufs. Man kann nicht den Kulturaustausch fördern und ein großes Festival organisieren wollen, indem man sich im Hotelzimmer einschließt. Dass dieses Konzert noch stattfand, war allerdings ein Kraftakt.
Sie haben Gitarre studiert und früher das Nord-Töne-Festival veranstaltet. Wie kamen sie vom Interesse fürs Baltikum ins Morgenland?
„NordTöne“ war ein Heimspiel, da ich viele Kontakte in die baltische Musikszene hatte. Künstlerisch war es, für mich persönlich, weniger spannend. Einfach deshalb, weil man keine neuen Erfahrungen macht, wenn man ein Konzert mit alten Freunden veranstaltet. So kam ich auf die Idee, ein Festival zu machen, bei dem ich meinen Horizont erweitern und selbst auch Spannung spüren kann.
Warum sollte gerade Orientalisches für diese Spannung sorgen können?
Na ja, das begann ja als Verdacht, als Erkundung. Ich weiß noch, wie ich den jungen palästinensischen Pianisten Saleem Abboud Ashkar in Berlin anrief. Der hat schon mit zwanzig unter Barenboim gespielt und ist wohl der einzige arabische Konzertpianist von Weltrang. Ich sagte also meinen Text auf – und Ashkar sagte: „Herr Dreyer, ich weiß nicht, was Sie wollen.“
Gute Frage: Was wollten Sie? Was waren Ihre Motive?
Meine Freundin ist hier in Osnabrück stark in interreligiöse Projekte eingebunden. Der Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam ist bei uns zu Haus daher oft Thema. Vage kulturhistorische Vorstellungen waren auch im Spiel: vom Orient als Wiege unserer Kultur, als Ursprung der monotheistischen Religionen, aber auch vieler unserer Instrumente. Daher beschloss ich, in dieser Region, aus der wir täglich nur mit Schreckensbildern konfrontiert werden, auf Entdeckungsreise zu gehen.
Sie wollten etwas machen, das den Bann medialer Bilder brechen kann?
Ja, wobei zu Beginn die schiere Neugier das treibende Moment war. Wenn ich mich hier umhörte und wissen wollte, ob es ein Musikleben im Irak gibt oder eine Avantgarde in Syrien, dann konnte mir das keiner sagen. Spätere Erfahrungen haben mich allerdings darin bestärkt, den Aspekt des Medienkorrektivs umso wichtiger zu finden.
Erfahrungen welcher Art?
Nun, wenn Sie in Teheran mit Journalisten unterwegs sind und es plötzlich heißt: „Herr Dreyer, jetzt wollen wir aber ein Foto mit Ihnen vor der US-amerikanischen Botschaft“, oder: „Jetzt noch ein Foto mit richtig vielen Frauen im Tschador“, beginnt man schärfer darüber nachzudenken.
Über was genau?
Es muss wahnsinnig knallen und irrsinnig fremdartig sein. Je fremdartiger, desto besser. Diese Bildbotschaften werden permanent reproduziert, sie haben sich in den Köpfen verfestigt. Zugleich bedient man das Bedürfnis des Empfängers, seine Überzeugungen bestätigt zu sehen. Worauf es mir ankommt, ist, dass diese permanente Inszenierung von Fremdartigkeit ungeheuer gefährlich ist, weil so unterschwellig Stimmungen und Einstellungen etabliert werden, die langfristig handlungsrelevant werden können.
Wie sind Sie dann vorgegangen, um sich einen musikalischen Zugang zu dem Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens zu eröffnen?
Im November 2004 bin ich nach Beirut geflogen. Da habe ich Konservatorien besucht. Außerdem gibt es dort ja das wichtige Al Bustan Festival. Ich bin rumgefahren, habe Leute getroffen und mir viel angehört. Aber es kam nicht viel dabei rum.
Der Libanon war eine musikalische Enttäuschung?
Anfangs schon. Ich freute mich etwa darauf, das Lebanese National Orchestra for Traditional Arab Music zu hören, aber der Funke sprang bei mir nicht über. Eines Tages hielt dann in Beirut ein Taxi neben mir und ein Oud-Spieler, den ich vom Sehen aus dem Konservatorium kannte, steckte mir eine CD zu. Es war André Hajj, dessen Trio mich ungeheuer beeindruckte, so virtuos und nuancenreich war die Musik.
Ist es nicht sehr schwer, Musik aus einer anderen Tradition zu beurteilen?
Ich bin auch heute kein Fachmann für orientalische Musik. Peu à peu hatte ich aber das Glück, Leute zu treffen, die mir halfen, ein breites Spektrum vom Hiphop bis hin zu traditioneller Musik zu entdecken. Ich ging nach Syrien und lernte Hannibal Saad kennen, der als Organisator des Festivals „Jazz Lives in Syria“ Großes leistet. Ich ging nach Iran und traf Nader Mashayekhi, den damaligen Dirigenten der Teheraner Symphoniker.
Was dominierte: exotische oder ästhetische Überraschungseffekte?
Vor allem auch intellektuelle! Der Pianist Saleem Ashkar, den ich vorhin erwähnte, ist ein guter Freund von mir geworden, von dem ich viel über Israel und Palästina gelernt habe. Ein schlauer Typ, der mich sofort eingenommen hat: Wie kommt jemand, der sich in der arabischen Enklave Nazareth das Klavierspielen autodidaktisch beigebracht hat, mit Barenboim in die Carnegie Hall? In Iran fesselt mich eine konzentrierte, in sich ruhende Schönheit, die viele Musiker und Musikerinnen mitsamt ihrer Musik ausstrahlen. Ein Sänger wie Salar Aghili kann mit seiner Technik und emotionalen Kraft das gesamte Bayrische Rundfunkorchester bezirzen. „Wie macht er das?“, hat mich der Dirigent immer wieder gefragt, als wir neulich die Moulana-Symphonie Mashayekhis aufgenommen haben.
Nach den Reisen stellen Sie das Programm zusammen. Wie finanzieren sie das, über Sponsoring?
Private Unternehmen haben kein großes Interesse, bei einem Dialogprojekt mit Syrien und Iran draufzustehen. Mehr als 5 Prozent der Kosten deckt die „freie“ Wirtschaft nicht ab. Der Löwenanteil kommt von Stiftungen wie der Stiftung Niedersachsen, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, dem Land Niedersachsen oder von der NDR-Musikförderung. Die Stadt ist jetzt mit 70.000 Euro dabei, was im Vergleich zu den Vorjahren eine enorme Summe ist. Nach dem letztjährigen Peak von 400.000 Euro ist das Budget 2008 jedoch erstmals rückläufig.
Woran erkennen Sie, dass Sie das Geld gut investieren?
An den Publikumsreaktionen. Und daran, dass aus Projekten Praktiken werden. Also daran, dass etwa der Austausch zwischen der Musikschule Osnabrück und der Barenboim Said Music School in Nazareth wohl auch dann noch weiterlaufen wird, wenn es das Festival irgendwann nicht mehr gibt. Das gilt auch für den Orchestermusikeraustausch zwischen Teheran und Osnabrück. In diesem Jahr werden Musiker der beiden Orchester erstmals gemeinsam musizieren und die Johannespassion Bachs am 23. und 24. August in der Aseman Hall in Teheran sowie am 5. Oktober im St. Petrus Dom zu Osnabrück aufführen – wenn alles gutgeht.