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Archiv-Artikel

Deine Musik war der Wind

Ein freundlicher und wilder Ort! Im Ostgut fühlte man sich wie auf der ersten Party, auf der man je war. Am vergangenen Wochenende konnte man dort noch tanzen – aber zum allerletzten Mal. Nun kommen die Bagger. Ein Nachruf in Dankbarkeit

von STEPHANIE GRIMM

In den Jahrescharts eines bekannten Kölner Kulturmagazins steht das Ostgut auf Platz acht der Rangliste, aber wer jemals dort war, der weiß, dass es nicht der achtbeste, sondern der beste Club überhaupt war. Denn wie viel mühelose Orte gibt es schon, an dem sich alles – der Abend, die Fremden, die Freunde – so richtig gut anfühlt. Man kann über enthusiastische Exzesse, wie man sie im Ostgut erleben konnte, denken, was man will – war man erst mal da, lösten sich alle Vorbehalte auf. Garantiert.

Zum letzten Mal ist es so auch in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Und am Sonntagmorgen. Und am Sonntagnachmittag. Ganz egal ob man gerade tanzt oder am Rand herumschwappt, die Musik schießt angenehme Entlüftungskanäle in den Kopf und man kommt sich nicht mal albern vor, wenn man beim Tanzen die Arme über den Kopf wirft. Besonders in der oberen Etage, der Panoramabar, wo die Räumlichkeit keine ausgefransten Ränder zulässt. Irgendwer, den man gerne anschauen möchte, steht immer in der Nähe. Man kann sich treiben lassen und den tollen Deckenlampen beim Blinken zusehen.

Ein euphorisierter Tänzer steckt dem DJ einen Zettel zu: „Auf den Windstreifen gleiten die Möwen in die Glückseligkeit des Fliegens – deine Musik ist der Wind. Danke, E.“ Und noch so ein großer Moment auf der Tanzfläche – ein Mädchen sagt bei jedem Textfetzen, der aus der Musik herausstrudelt: „Das ist so wahr, mein Gott.“ Daneben knutscht ein stämmiger Typ mit einem kleinen, dürren Skinhead. Zwischendurch redet man am Rande, bis die Worte wieder alle sind. In der Warteschlange vor dem Klo reißt jemand eine Platte aus der Deckenverkleidung, um eine stabile Unterlage für sich und seine Freunde mit in die Kabine nehmen zu können.

Natürlich spielten hier Drogen eine große Rolle: solche, die Empathie und Euphorie steigern, und solche, die einen auf den Beinen halten. Aber Selbstversuche haben gezeigt, dass sie nicht das ausschlaggebende Moment für das sind, was sich im Ostgut in die Hirnrinde brennt. Eine Freundin, die sich wegen Antibiotika alles verkneifen musste, fand es einmal „wie auf einer Schulparty, der ersten Party, auf der man je war – genauso aufregend, und es ist völlig normal, dass es tagsüber ist“.

Dann wird es draußen tatsächlich Tag, und der Raum ist plötzlich in fahles Licht getaucht. Wenn man nach ein paar Sekunden die Augen aufschlägt, fühlt man sich, als wäre man draußen unterwegs und überlegt kurz, wie die Welt wohl wäre, wenn die Menschen sich in ihr morgens so bewegen würden. Dann wird das Licht wieder weicher, wohl weil jemand die Jalousien runtergelassen hat. Und wieder ist es ein paar Stunden später.

Kaum zu glauben, dass dieser freundliche und wilde Ort eher ein Zufallsprodukt der Berliner Clubgeschichte ist. Zu Silvester vor vier Jahren öffnete das Ostgut erstmals, und dazu war es nur gekommen, weil die vormals von Ort zu Ort wandernden Veranstalter des schwulen Snax Clubs einen festen Ort gesucht hatten. Den fanden sie auch, in einer kleinen Räumlichkeit auf dem ehemaligen Gütergelände des Ostbahnhofs. Aber auch die daneben liegende Halle schrie nach Nutzung. So kam es zu dem Technoclub für eine breitere Öffentlichkeit. Ein Jahr später öffnete die Panoramabar im Obergeschoss für Freunde des House, und damit wurde der Club endgültig zu der Mischung, die den Menschen das Herz aufgehen ließ. Dass dies funktionierte, ist wohl auch der rohen Magie des Ortes geschuldet – die es schwer vorstellbar macht, dass das Ostgut einfach an einem anderen Ort wieder aufmacht. Dass nun an diesem Wochenende die letzte Party stattfand, stand schon länger fest. Bald kommen die Bagger und machen Platz für eine riesige Mehrzweckhalle. Kein Wunder also, dass in den letzten Wochen die Hysterie gesteigert war, dass man einfach noch einmal hingehen wollte und dann noch einmal und dann noch einmal.

Als man dann irgendwann geht, steht man orientierungslos vor der zugigen Garderobe und überlegt, ob man sich noch ein T-Shirt kauft, auf dem geschrieben steht „schön war’s“. Das kommt einem dann aber doch ein bisschen komisch vor. Und so stolpert man raus und genießt eine der guten Seiten des Winters: die gnädigen Lichtverhältnisse, die einen am frühen Abend angenehm gedämpft nach Hause geleiten.