: Teuro-Gefühle mit Zahlen belegt
Vor allem im Freizeitbereich und bei den Ämtern sind Preise gestiegen. Das beweist ein Internetforum der Verbraucherzentrale zur Euroumstellung. Statistiker ermittelten hingegen kaum Inflation, und Ökonomen warnen bereits vor einer Deflation
von KATHARINA KOUFEN
Von Inflation kann in Deutschland seit Monaten keine Rede sein, doch „gefühlt“ haben die Deutschen sie doch. Nun hat die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen ein Internetforum mit 3.500 Teuro-Hinweisen ausgewertet. Ergebnis: Zwar sind nur in jedem vierten gemeldeten Fall die Preise tatsächlich gestiegen. Dann jedoch erheblich: im Durchschnitt um 32 Prozent.
Besonders stark kletterten die Preise im Freizeitsektor, im Kreditgewerbe und bei den öffentlichen Gebühren. Die Parkgebühren legten um 50 Prozent zu, Lebensmittel um 25, Restaurants um 20 und Backwaren um 15 Prozent. Allerdings seien diese Ergebnisse „in keinster Weise repräsentativ“, betonen die Verbraucherschützer. Vielmehr handelt es sich um eine Auswertung subjektiver Kunden-Hinweise – und dies waren in der Regel Beschwerden über höhere Preise. Aus Begeisterung über billigere Produkte wandte sich niemand an das Forum.
Die Verbraucherzentrale hatte das Internetforum zunächst von November 2001 bis Februar 2002 eingerichtet. „Wir dachten, die Debatte würde nur dauern, bis die Doppelauszeichung vorbei ist“, erklärt Pressesprecherin Gerlinde Waschke. Doch im Sommer kochte das Thema erneut hoch, schließlich berief Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) einen „Teuro-Gipfel“ ein. Waschke: „Da haben wir unser Forum im Auftrag aller Verbraucherinitiativen wieder geöffnet.“
Bis vergangenen November gingen 6.500 Hinweise auf gestiegene Preise bei der Verbraucherzentral ein. Die meisten betrafen Supermärkte und Kaufhäuser. Fast ebenso häufig wurden Restaurants, Imbiss-Stuben und Pizza-Taxen genannt. Rund fünf Prozent der Beschwerden bezogen sich auf Freizeiteinrichtungen wie Fitnesscenter und Diskotheken sowie auf öffentliche Gebühren. Nur 170 Klagen richteten sich gegen Bäckereien, obwohl in der Teuro-Debatte gerade Brot und Brötchen als Preistreiber genannt wurden.
Die beschuldigten Unternehmen reagierten unterschiedlich. Die meisten nahmen zu den Vorwürfen Stellung – viele hätten sich sogar ausdrücklich für diese Möglichkeit bedankt, berichtet die Verbraucherzentrale. Einige Firmen hätten jedoch auch mit Klage gedroht, falls die Zuschriften an das Forum veröffentlicht würden. 620 Unternehmen reagierten nicht, „trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung“. Für die Verbraucherschützer ein „Ausdruck fehlender Kundenorientierung“.
Die Unternehmen begründeten die Preiserhöhungen mit höheren Rohstoffkosten oder damit, dass ein solcher Schritt schon länger fällig gewesen sei. Man habe aber die Euro-Umstellung abgewartet, weil dann ohnehin neue Preisschilder gedruckt würden. Oft hatten Firmen ihre Ware im Laufe von 2001 erst verteuert und zur Euro-Umstellung wieder billiger gemacht. Viele Kunden hätten aber noch die alten, niedrigeren Preise im Gedächtnis gehabt und daher die Mogel-Verbilligung gar nicht bemerkt, so die Zentrale. So hätten Branchenkenner beobachtet, dass der Preis für einen Warenkorb bei Aldi am 1. Juli 2000 bei rund 36 Euro lag, ein Jahr später bei 39 Euro und 2002 bei 37 Euro.
Nicht in die Berechnung der durchschnittlichen Teuerung flossen Extremfälle, „Steigerungen um mehr als 400 Prozent“, erklärt Waschke. Das hat es auch gegeben: Ein Schwimmbad vervierfachte seinen Eintrittpreis, eine Bank vervierfachte Überweisungsgebühren.
Doch was die Verbraucher fühlen, ist eine Sache, was die Statistiker ermitteln eine andere: Demnach lagen die Inflationsraten im vergangenen Jahr zwischen minimalen 0,9 und 1,8 Prozent. Die Verbraucherschützer wollen jedoch nicht glauben, dass Gefühle derart trügen können. „Der Warenkorb des Statistischen Bundesamts ist nicht realistisch“, sagt Waschke. Restaurantbesuche und Dienstleistungen würden bei der Berechnung zu wenig berücksichtigt.
Unterdessen warnen die ersten Ökonomen bereits vor dem Gegenteil einer Inflation: der Deflation, also unkontrolliert sinkenden Preisen. „Deutschland könnte näher an einer Deflation dran sein, als Sie denken“, schreibt Capital Economics, eine Gruppe unabhängiger britischer Wirtschaftsberater. Denn ohne den Teuro wären nicht einmal die 1,1 Prozent Jahresinflation zustande gekommen.