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Archiv-Artikel

„Das kann ich nicht fassen“

Der Süddeutsche Verlag verhandelt in dieser Woche wieder einmal sein Sanierungskonzept. Wegen anhaltend schlechter Anzeigentrends steht auch die NRW-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ zur Debatte. Ein Termin beim Betriebsratschef

aus München OLIVER HINZ

Klaus Schönauer hat in diesen Tagen viel Besuch. Von KollegInnen, die wissen wollen, wie und ob es weitergeht beim Süddeutschen Verlag, wo der drastische Sparkurs bis zum nächsten Jahr jeden fünfte Mitarbeiter wegspülen soll. Von Verlagsmanagern, die mit dem Konzernbetriebsratschef über Kürzungen und Kündigungen verhandeln.

Der 59-Jährige, der seit 30 Jahren die Arbeitnehmer vertritt, ist längst eine Institution – und nicht zum ersten Mal in die Rolle des Gegenspielers der Konzernspitze geschlüpft. Schönauers Mission heißt jetzt kämpfen. Lange, einige meinen zu lange, setzte der frühere Schriftsetzer auf Verhandlungen mit der Verlagsgeschäftsführung und ihren Sprecher Dirk Refäuter – bis die Gesellschafter ihren Chefmanager vor einem Monat rausschmissen. Seitdem hat Schönauer seine Zurückhaltung endgültig abgelegt. In der Woche vor Weihnachten mobilisierte er erstmals in der Unternehmensgeschichte 400 Beschäftigte zu einer Demonstration vor dem Stammsitz der Süddeutschen Zeitung (SZ) in der Sendlinger Straße, Mitten in München. JournalistInnen im Protest vereint mit Verlagsangestellten und TechnikerInnen, sogar der Leitende Redakteur Herbert Riehl-Heyse war dabei.

„In der heißen Sanierungsphase gewinnt der Betriebsrat an Bedeutung für die Belegschaft“, umschreibt Schönauer später in seinem kleinen Büro im ersten Stock des Verlagsgebäudes nüchtern seinen Einfluss. Papierberge liegen auf dem Schreibtisch, an der Wand hängt die Urkunde für 40 Jahre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, noch unterschrieben von IG-Medien-Boss Detlev Hensche. Der Mann im Pulli wirkt angesichts der Krise ratlos: „Unsere Möglichkeiten sind natürlich begrenzt.“

Von der Mehrheit der Redakteure ist Schönauer nach wie vor persönlich enttäuscht. An ihnen scheiterte im Herbst ein Haustarifvertrag, der kürzere Arbeitszeit und weniger Lohn vorsah und im Gegenzug betriebsbedingte Entlassungen verhindert hätte. Nur ein Drittel der JournalistInnen stimmten dem von Schönauer verfochtenen Solidarmodell zu, zu den vehementen Gegnern gehörte SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz.

„Die klagen in ihren Artikeln gerne, wie erstarrt die Gesellschaft ist, wollen aber selber ihre Erstarrung nicht lösen, um Arbeitsplätze zu retten“, sagt der sonst eher bedächtige Schönauer: „Das kann ich nicht fassen.“ Ihm liegen naturgemäß mehr die kampferprobten Facharbeiter, er blüht auf, wenn er sich daran erinnert, wie man in den Siebzigerjahren Lohnsteigerungen von elf Prozent durchsetzte. Doch die Gegenwart sieht anders aus: „Die Zukunft stimmt mich nicht besonders optimistisch.“

Denn bis Ende 2004 verlieren nach den bisher bekannten Plänen fast 1.000 der insgesamt rund 5.000 Konzernmitarbeiter ihren Job, die Moskau-Korrespondentin der SZ genauso wie die preisgekrönte Nachwuchsjournalistin. Auch viele freie Mitarbeiter stehen vor dem Aus.

„Die Süddeutsche Zeitung ist durch den Rückgang der Stellen-, aber auch der Finanzanzeigen in einer besonders schwierigen Situation, um nicht zu sagen existenziell bedroht“, schrieb der Vorsitzende der Gesellschafterversammlung, Hanns-Jörg Dürrmeier, kurz vor Weihnachten dem Betriebsrat.

Und es kommt vielleicht noch schlimmer: So weit heute absehbar, setzt sich der Negativtrend im Stellenmarkt drastisch fort. An den ersten drei Wochenenden dieses Jahres kamen jeweils gut 30 Seiten zusammen – vor einem Jahr waren es trotz anhaltenden 11.-September-Schocks noch doppelt so viele.

Auf der Kippe steht so auch wieder das Vorzeigeprojekt des Verlags, der erst Anfang 2002 gestartete NRW-Teil der SZ. Die neue Bibel der Gesellschafter, das Gutachten der Roland-Berger-Berater, sieht vor: Wenn das Anzeigengeschäft dieses Jahr um weitere 20 Prozent einbricht, müssen zunächst NRW-Engagement, dann die eben erst neu konzipierte Wochenendbeilage und schließlich das SZ-Magazin „geprüft“, also eingestellt werden. „In Nordrhein-Westfalen trommelt was“, so Schönauer, das Düsseldorfer Projekt sei bereits Thema bei Geschäftsführung und Chefredaktion. – Nachfrage beim Verlagssprecher: „Es gibt kein abschließendes Urteil.“ Wann es fällt, lässt er offen.

Hoffnung macht nur die weiter steigende Gesamtauflage. Dabei ist die Wochenendausgabe heute nicht einmal halb so dick wie im Januar vor zwei Jahren, als bei 240 Seiten die Druckmaschinen an die Kapazitätsgrenze stießen. Seither sind nicht nur die Anzeigen weggefallen, sondern laut Schönauer auch 2.000 redaktionelle Seiten über das ganze Jahr. Der Bayern-Teil schrumpfte von einst vier auf zwei Seiten, stark dezimiert ist auch der Wirtschaftsteil.

Gestern Nachmittag traf sich der Betriebsratschef erstmals mit Refäuters Nachfolger Klaus Josef Lutz. „Er hat Medienerfahrung und ist Münchner“, sagt Schönauer über den aus der IT-Branche geholten Sanierer, der sich selbst „Turnaroundmanager“ nenne und einst Druckchef beim Burda-Konzern war. Es gab viel zu besprechen. Zum Beispiel, warum der vor zwei Monaten verkündete Einstieg des neuen Mitgesellschafters beim Verlag, der Südwestdeutschen Medien Holding, noch nicht dem Kartellamt gemeldet wurde. Denn erst nach Abschluss des Kartellverfahrens werde die geplante Kapitalerhöhung – Schätzungen gehen von 100 bis 150 Millionen Euro aus – vollzogen, bestätigt der Verlagssprecher.

Bislang verlangt der Betriebsrat vergeblich Informationen über die Lage des Unternehmens. Stattdessen bietet die Führungsetage der Belegschaft im Intranet zuverlässig die Berichte der Konkurrenz über die Krise der Süddeutschen.

Schlüsselpositionen

So erfahren die Mitarbeiter, welche Köpfe als nächste rollen und wie der neue Gesellschafter Schlüsselpositionen mit seinen Leuten besetzt: Der kaufmännische Geschäftsführer der Medien-Union, Oliver Dubber, wird Chef des neuen Lenkungsausschusses im Verlag, der das Sanierungskonzept zusammen mit der Geschäftsführung umsetzen soll. Dubber eilt ein mieser Ruf voraus. Sein Hausblatt, die Ludwigshafener Rheinpfalz, verließ zum Jahreswechsel den Zeitungsverlegerverband und zahlt nun nach dem Groß- und Außenhandelstarif etwa 20 Prozent weniger Lohn. Zugleich muss fast ein Drittel der 600 Mitarbeiter gehen, obwohl das Haus als einer der rentabelsten Regionalverlage Deutschlands gilt.

Auch beim Süddeutschen Verlag ist „nicht die Zeitung das Problem“, so Schönauer, „ sondern die 150-Millionen-Gewinnentnahme der Verlegerfamilien in den Jahren 1998 bis 2000“. Nun fehlten Rücklagen – und die untereinander zerstrittenen fünf Eigentümerfamilien weigerten sich, zur Rettung des eigenen Hauses Geld zuzuschießen.