: Wie bleibe ich trotzdem Kanzler?
von RALPH BOLLMANN
Es sieht schlecht aus für Sie. Ein Sieg des politischen Gegners ist in Hessen so gut wie sicher, in Niedersachsen höchst wahrscheinlich. Ein Denkzettel für Sie und Ihre Regierung. Was sollen Sie jetzt machen: am Sonntagabend einfach zurücktreten? Erst mal in Urlaub fahren? Ein paar Minister entlassen? Die taz sagt Ihnen, warum Sie sich über die Schlappe freuen sollten.
1. Machen Sie sich nichts draus. Die Niederlage bei der Landtagswahl ist die logische Folge Ihres Sieges bei der letzten Bundestagswahl. Wäre seit 100 Tagen ein Chaos-Kanzler namens Edmund Stoiber im Amt, könnte sogar der blasse SPD-Kandidat in Hessen triumphieren. Der Empörung über die Wahllügen des bayerischen Kanzlers hätte auch ein politisches Talent wie Roland Koch nichts entgegenzusetzen. Würde der Niedersachse Sigmar Gabriel einen Untersuchungsausschuss fordern, wäre ihm die absolute Mehrheit wieder sicher.
2. Lassen Sie Ihren korpulenten Kronprinzen zappeln. Der Sigmar hat lange genug genervt. Gut, bei der Vermögensteuer waren auch Sie nicht besonders nett zu ihm. Aber muss er deswegen gleich seinen ganzen Wahlkampf gegen Sie führen? Das hat er nun davon. Vorerst demütigen Sie ihn mit ein paar väterlichen Worten, nach dem Motto: Der Sigmar ist ein großes politisches Talent. Ansonsten können Sie ihn ruhig zappeln lassen. Jetzt ist er voll und ganz von Ihnen abhängig. Den Rest wird man sehen. Siehe Punkt 4.
3. Erhöhen Sie die Mehrwertsteuer. Aber benutzen Sie um Gottes willen nicht dieses grässliche Wort. Natürlich wird die Steuer „harmonisiert“. Europaweit. Und zwar auf das dänische Niveau von 25 Prozent. Auch das sagen Sie anfangs besser nicht so laut. Schwadronieren Sie lieber von der historischen Chance der europäischen Einigung, wie Helmut Kohl es Ihnen vorgemacht hat. Dann brauchen Sie sich nur noch mit Jacques Chirac zu treffen und zu verkünden: „Rechnet nicht damit, dass wir uns einer höheren Mehrwertsteuer widersetzen. Rechnet nicht damit!“
4. Feuern Sie Ihren Finanzminister. Dann haben Sie einen Job für Sigmar Gabriel – und ein Problem weniger. Schließlich sind die Rezepte des Sparkommissars Hans Eichel schon lange nicht mehr populär. Subventionen streichen, Investitionen kürzen, Haushalt sanieren? Schon Helmut Kohl wusste, dass ein erfolgreicher Politiker besser die Schulden erhöht. Außerdem spricht gegen den Hans, dass er die Wahlen in seinem Heimatland Hessen vergeigt hat. Jedenfalls schaffte er es nicht, den blassen Spitzenkandidaten zu verhindern. Wie hieß der noch mal? Ach, war der Vorname nicht ebenfalls Gerhard?
5. Demütigen Sie die Gesundheits- und Sozialministerin. An eine große Rentenreform glaubt ohnehin niemand mehr, und beim Gesundheitssystem blicken Sie selbst gar nicht durch. Das Einzige, was Sie wissen: Man kann sich damit nur Ärger einhandeln. Da ist es besser, Patienten und Ärzte laden ihn bei der Ulla ab. Wenn die Rürup-Kommission ihre Vorschläge macht, warten Sie erst mal die Reaktionen ab. Und schauen, was die Opposition so sagt. Erzählen Sie bloß nicht wieder, Sie würden „Rürup eins zu eins umsetzen“. Das hat Ihnen beim letzten Mal schon genügend Ärger eingebracht.
6. Beerdigen Sie den Streit um das Zuwanderungsgesetz. Am besten, Sie schreiben die Vorlagen der Opposition einfach ab. Da werden die Grünen ein bisschen protestieren, aber besonders groß sind die Unterschiede zu dem Gesetzentwurf von Otto ja ohnehin nicht mehr. Nur so bekommen Sie das Thema vom Tisch – und zwingen die Union zur Zustimmung im Bundesrat. Dann besteht auch keine Gefahr, dass der neue Sitzungsleiter Wolfgang Böhmer irgendwelche Neinstimmen übersieht – nach dem Muster: „Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident!“
7. Versprechen Sie den Aufschwung für übermorgen. So hat es Helmut Kohl auch schon gemacht: Die Reformen beginnen – nach der nächsten Wahl. Die Landschaften werden blühen – irgendwann. Im Vergleich zu Kohl haben Sie obendrein das große Glück einer weltweiten Wirtschaftsflaute. Dann drückt auch noch die Irakkrise auf die Börse, und der starke Euro ist Gift für die Exporte. Ist doch logisch, dass Sie dagegen machtlos sind!
8. Bieten Sie Saddam Hussein Asyl an. Damit ersparen Sie sich eine peinliche Abstimmung im UN-Sicherheitsrat – und stehen im „alten Europa“ als Held da. Gut, die USA werden mal wieder einen „Regime Change“ in Berlin fordern und gegen den Schurkenstaat Deutschland wettern. Aber das Verhältnis zu Washington ist sowieso schon ruiniert, und für die deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen kann ein solcher Asylkompromiss nur gut sein. Vielleicht nimmt Jürgen W. Möllemann den Exdiktator ja in die nordrhein-westfälische FDP auf. Dann muss Parteichef Guido Westerwelle wahrscheinlich zurücktreten, und die Liberalen könnten bei der nächsten Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde scheitern.
9. Bereiten Sie sich auf den Wahlkampf im Jahr 2014 vor. In einer Ihrer schwächsten Stunden haben Sie mal gesagt, acht Jahre wären für einen Bundeskanzler genug. Das hat Helmut Kohl vielleicht auch mal gedacht. Aber 1990 kam die Wiedervereinigung dazwischen, und 1994 war irgendwie auch nicht der richtige Zeitpunkt. So ähnlich könnte es Ihnen auch gehen. Allerdings sollten Sie schon jetzt gründlich überlegen, ob Sie im Jahr 2014 wirklich noch mal antreten. Sie wissen ja, wie es für Helmut Kohl nach 16 Jahren ausgegangen ist.
10. Verlieren Sie nicht die Fassung, falls die SPD die Landtagswahlen gewinnt. Zum Glück ist das ziemlich unwahrscheinlich, denn schön wäre es nicht für Sie. Sollte Sigmar Gabriel dem Bundestrend trotzen und in Niedersachsen gewinnen, wird er vor Kraft kaum noch laufen können. Bei jeder noch so kleinen Krise in Berlin werden Ihre Parteifreunde fragen, ob „der Sigmar“ nicht der bessere Kanzler wäre. Wird auch noch Roland Koch in Hessen abgewählt, können Sie gleich ganz einpacken. Dann steht jetzt schon fest, dass Angela Merkel im Herbst 2006 gegen Sie antritt. Eine quälende „K-Frage“ wird es dann nicht geben, und auch den schönen Lagerwahlkampf können Sie in diesem Fall vergessen.