Virtuelle Schläfer

24 Frauen tagen über Viren und ihre Chancen

Er zerstört alles um sich herum und nimmt dafür deneigenen Tod in Kauf.

Sie sind der Schrecken jedes Users – aber Computerviren können noch viel mehr als virtuelle Welten durcheinander zu bringen. Viren haben nämlich in letzter Zeit die Grenzen nationaler Souveränität, persönlicher Identität, digitaler Sicherheit, geschlechtlicher Stabilität und Symbolik zu deuten geholfen. Das ist jedenfalls der Ansatz des thealit-Frauen-Laboratoriums „Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks“, das heute in die dritte und zugleich letzte Runde geht: Ein kulturwissenschaftliches Frauensymposium tagt vier Tage lang über die Eigenarten der Computer-Viren und Krankheitserreger.

24 Frauen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft halten dazu von heute bis Sonntag 24 Vorträge. Die Themenpalette ist groß. Spätestens nach der Liebeserklärung „I love you“, die ein Hacker im Jahr 2000 um den virtuellen Erdball schickte, haben nun auch andere Viren-Freaks ihr Interesse an dem dreisten Unruhestifter gefunden. „I love you“ könnte viel mehr sein als das Ärgernis einer Mehrheit und die Freude einer Minderheit. „Ist der widerständige Held Virus ein

subversives Modell“, formulieren die Labor-Frauen und fragen sich, ob das Subversive ansonsten eher die Sache von David und Robin Hood, der heutigen Feministin, von Queer Studies, al-Quaida, gar Globalisierungsgegnern sei.

Organisatorin Andrea Sick erklärt, was diese These begründen könnte: „Der Virus gilt als unkontrollierbar, das macht Angst. Er mutiert immer, kann sich unbemerkt anpassen und macht dadurch die Forschung schwierig“. Der Virus sei eine „heimlich-schlafende Besessenheit“, ein Schläfer: Bis zum Ende ist er gefangen von einer Idee, irgendwann aber bricht er aus. Dann hat er durchaus was von Selbstmordattentätern: Er zerstört alles um sich herum und nimmt dafür den eigenen Tod in Kauf. Das Symposium will aber nicht bei dieser einen Metapher stehen bleiben, sondern einen Transfer finden: zwischen Innen und Außen, Kultur und Natur, Materialität und Sprache.

„Er ist geschickt, trickreich und parasitär. Das kann auch faszinierend und positiv sein, schließlich ist es nicht einfach, sich in alle Bereich unbemerkt reinzumogeln“, zitiert Sick Eigenschaften des Virus‘ – das Positive dieser Fähigkeiten soll das Symposium herausstreichen. Und so bleibt am Ende die eigentliche Frage, die sich 24 Frauen in den nächsten vier Tagen stellen werden, ob man sich nicht selbst als Virus verstehen möchte. Ob nicht neben den wissenschaftlichen Aspekten der Wunsch entsteht, selbst einmal zum Virus zu werden, ausgehend vom Kitzel, überall einzudringen und für Bewegung zu sorgen.

Anja Damm