: Hungerkünstler: Ran an die EU-Töpfe
Bei der Tagung „Art Swap Europe“ wurde am Samstag über die europaweite Vernetzung künstlerischer Projekträume diskutiert. Dabei kann man viel voneinander lernen. Etwa wie man an die Fördermöglichkeiten der EU herankommt
Berlin besitzt seit einiger Zeit den Ruf des Künstlerparadieses. Wie ein Magnet ziehen der Traum von niedrigen Wohnungs- und Ateliermieten und der Mythos einer mental wie räumlich durchlüfteten Stadt Künstler und Künstlerinnen aus vielen Teilen der Welt an, um hier zumindest für eine Zeit zu leben und zu arbeiten. Reisen ist Teil des Künstlerdaseins und der Weg ein Ziel künstlerischen Erkenntnisgewinns.
Dass das nicht nur für Künstler gilt, sondern für die kreativen Beschäftigten des Kultursektors im Allgemeinen, ist ein Thema, das derzeit Andreas Wiesand untersucht, der Geschäftsführer des Bonner Instituts für Kulturforschung und Generalsekretär des European Institute for Comparative Cultural Research (ERICarts). Dabei geht es vor allem um die Funktion der Mobilität zum Aufbau von Netzwerken. Am Samstag war er eingeladen, die Tagung „Art Swap Europe“ in der Berliner Akademie der Künste zu eröffnen. Art Swap ist ein Projekt der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste e. V., der Dachorganisation der drei deutschen Künstlerverbände, zur Vernetzung sogenannter artist-run initiatives.
Jenseits des etablierten Kunstbetriebs von kommerziellen Galerien, privaten Ausstellungshäusern und kommunalen oder staatlichen Museen spielen solche Projekträume eine immer größer werdende Rolle. Kleinster gemeinsamer Nenner der diversen Initiativen ist, dass sie von den Künstlern oder Kulturschaffenden selbst am Laufen gehalten werden. Zur Finanzierung dieser Projekte empfiehlt Wiesand, sich um Förderungsangebote nicht nur nationaler Stiftungen und Behörden zu bemühen, sondern sich insbesondere bei den Angeboten der Europäischen Union umzuschauen. Brüssel biete unzählige Möglichkeiten der Kulturförderung, auch wenn es dort bildende Künstler schwerer hätten als etwa darstellende. Während die performing artists gut vernetzt wären und dadurch auch von der EU als förderungswürdig anerkannt würden, hätte die visuelle Kunst mit ihren vielen Einzelkämpfern noch viele Kommunikationsschwierigkeiten.
Art Swap Europe will das ändern und die Vernetzwerkung der artist-run initiatives vorantreiben. Dafür hatte sie 75 Teilnehmer nach Berlin eingeladen – von Produzentengalerien mit kommerziellem Anspruch bis zu Selbsthilfeprojekten von Langzeitarbeitslosen. So organisieren sich in der Berliner Galerie Stedefreund 20 Künstlerinnen und Künstlerinnen, um gemeinschaftlich an der Selbstvermarktung auf einem oft hermetischen Kunstmarkt zu arbeiten. IDEE 01239 ist dagegen ein Verein aus der Dresdner Plattenbausiedlung Prohlis, der die Kulturarbeit vor allem als soziales Anliegen begreift und versucht gegen die Lähmung anhaltender Erwerbslosigkeit vorzugehen. Dann wieder gibt es intellektuelle Projekte wie Art Laboratory Berlin, das von den Kunsthistorikerinnen Regine Rapp und Sandra Frimmel und dem Künstler Christian de Lutz in einer Verbindung von Kunst und Wissenschaft betrieben wird. Einige Initiativen verstehen sich mehr aktionistisch, wie das Interventions-Kollektiv Unwetter um Jole Wilcke, die aktive Kulturarbeit auch als globale Recherche verstehen. Lokal operiert dagegen A Sala als Wohnzimmergalerie und Think-Tank in der nordportugiesischen Industriestadt Porto. Europaweit existieren Ausstellungshäuser in Containern, alten Imbissen, umgenutzten Tankstellen und leerstehenden Fabrikhallen.
Die Vernetzung dieser Kooperativen verstehen ihre Mitglieder aber weniger als theoretischen oder bürokratischen Selbstzweck, sie dient vielmehr dem Austausch künstlerischen Wissens und eröffnet nebenbei neue Reisestationen. Wenn an diesem Wochenende auch die wirtschaftlichen Handlungsebenen thematisiert wurden, dann ist das mehr wert, als sich an den Tropf irgendeines Brüsseler Fördertopfes zu hängen. MARCUS WOELLER
Zur Tagung „Art Swap Europe – Artist-run Initiatives and International Exchange“ ist ein Katalog erschienen, der die Projekte vorstellt. www.artswap-europe.eu