: Ring frei für die Tarifkämpfer
Nichts für Leichtgewichte: In den Zeiten leerer Staatskassen werden Tarifstreite im öffentlichen Dienst ohne Handschuhe ausgeboxt. Muss der Fight mit einem K. O. enden? Zwei Kämpferporträts
Roland Tremper (47) residiert im siebten Stock eines Ostberliner Plattenbaus in Mitte, sein Büro misst rund 14 Quadratmeter. Auf dem Schreibtisch des Ver.di-Verhandlungsführers liegen ein paar Akten, ein VW-Autoschlüssel, ein Foto mit Frau und zwei Kindern. Der gelernte Bankkaufmann vom Mittelrhein, der in den 70ern auch als Wehrdienstflüchtling nach Berlin kam, ist Gewerkschafter „mit einer ganz typischen Laufbahn“: DAG-Jugendsekretär, später für den Handel zuständig, als DAG-Vize ein erfahrener Mann in Tarifverhandlungen.
Tremper will den Flächentarifvertrag retten, der gleiches Geld für gleiche Arbeit garantiert. Er sagt: Nicht die Berliner Beschäftigten sind schuld an der Finanzmisere der Stadt, sondern eine verfehlte Politik. Helfen müssten jetzt auch andere: der Bund, die Banken, Unternehmen. „Wir brauchen eine große Berliner Konsolidierungskonferenz.“
Mäßig. Tremper wäre es wohl lieber, jetzt nicht kämpfen zu müssen. Die Gewerkschaften stehen mit dem Rücken zur Wand: Senat und Medien machen laut Tremper Stimmung gegen den öffentlichen Dienst. Temper grimmig: „Finanzsenator Sarrazin will Berlin offenbar an die Börse bringen“. Das lehnt der Gewerkschafter ab, er will in einer Gesellschaft leben, in der „es noch etwas Soziales gibt“.
Vor allem Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen, der DGB und die Ver.di-Bundesspitze. Letztere ahnt mit Grausen: Fällt die Berliner Bastion, gibt es auch in anderen Bundesländern und Kommunen kein Halten mehr, weil überall die Kassen leer sind. Die Stimmung an der Basis ist hingegen schwer einzuschätzen: Viele Beschäftigte sind durch die Spardebatten verunsichert, sehen die schwierige Finanzlage des Landes. Und die kampfstarken Truppen im öffentlichen Dienstes sind diesmal außen vor – BVG und BSR sind nicht aus den kommunalen Arbeitgeberverbänden ausgetreten.
Erstaunlich gut. Die Drohkulisse steht, die Beschäftigten demonstrieren, und die Bundesspitze signalisiert Unterstützung. Das Senatsangebot sei mit „heißer Nadel“ gestrickt, so Tremper. Der Tarifexperte hat noch viele offene Fragen: „materielle und normative“. Bei den Verhandlungen wird es also zur Sache gehen. Tremper weiß: Scheitern die Verhandlungen, gelten die Tarifverträge für Gewerkschaftsmitglieder weiter. Zwar gäbe es dann keine Lohnerhöhungen, aber Einschnitte beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld wären auch nicht möglich.
Aus Trempers Worten über den SPD-PDS-Senat spricht Enttäuschung. Die PDS wolle nur an der Macht bleiben, mit linker, sozialistischer Politik habe das alles nichts zu tun. Und über Wowereit sagt Tremper, er wolle sich als derjenige bundesweit feiern lassen, der den Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst angreift. „Da kann Herr Körting so viel erzählen, wie er will.“
Wenig. Zwar treibt ein Streik den Gewerkschaften neue Mitglieder zu. Aber er weckt auch hohe Erwartungen, die in dieser Tarifrunde kaum zu erfüllen sein dürften. Tremper: „Wir setzten auf die Mini-max-Strategie.“ Mit minimalem Aufwand ein maximales Ergebnis erzielen. Bei dem Gedanken, mit wenigen streikenden Feuerwehrleuten einen ganzen Flughafen lahm zu legen, lächelt Tremper.
Wenn es ein Zurück zum Bundestarifvertrag gibt, könnten die Gewerkschaften vielleicht einem vorübergehenden Verzicht zustimmen. Aber heute will Tremper nur Fragen stellen.
RICHARD ROTHER
Wir treffen den Innensenator in seiner Verwaltung in der Klosterstraße nahe dem Roten Rathaus: repräsentatives Büro, großer Führungskraftschreibtisch, Ledersessel, ein junger Referent mit Vorlagenmappe und Doktortitel. Alles chefmäßig, nur einer passt nicht ins Ambiente der Macht: Körting selbst. Der schlanke 61-Jährige, dem manchmal eine schwarze Strähne ins Gesicht fällt, gibt keine Kommandos. Körting, der in der SPD zu den Linken gerechnet wird, argumentiert in langen Satzketten mit der Konjunktion „weil“. Die Position der Gegenseite ist in seinen Argumenten oft schon aufgehoben. Die Möglichkeit, Anordnungen zu treffen, hat seine Dialogbereitschaft nicht verdorben. Körting wirkt nicht wie ein Macher, sondern wie ein Anwalt. Ist er ja auch eigentlich.
Körting sagt trocken: „Ich kämpfe für den Erhalt von 12.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst.“ Wie bitte? Es geht dem Senat um das Streichen von Weihnachts- und Urlaubsgeld, um den Verzicht auf Tariferhöhungen, kurz: um Geld für den ruinierten Haushalt. „Schon“, argumentiert Körting, „aber wenn wir das nicht durchsetzen, müssen wir stattdessen 12.000 Leute entlassen.“ Zusätzlich: Denn 12.000 Landesdiener müssen bis 2006 sowieso abgebaut werden. Nicht nur aus Spargründen: „Der Bürger hat ein Recht auf Effizienz. Die bedingt eine gewisse Schlankheit.“
Nein. Körting gibt gerne den Menschen im politischen Betrieb. Als Justizsenator hat er einst Erich Honecker „aus humanitären Gründen“ laufen lassen. Die Bombadierung Serbiens durch die Nato nannte er öffentlich „völkerrechtswidrig“. Nach dem 11. September organisierte er den Schutz amerikanischer und jüdischer Einrichtungen, warnte aber vor Gesetzesverschärfungen und dem „Problem, Terrorismus zu definieren“. Im Tarifkrieg muss Körting nicht Milde zeigen, sondern Härte und auch noch den eigenen Mitarbeitern ans Geld. Es gelingt ihm nur schlecht, seinen Unmut zu verbergen.
Vor allem Klaus Wowereit und Thilo Sarrazin, die weniger Probleme damit haben, Härte zu demonstrieren. Der Regierende hält eine gütliche Einigung mit Ver.di schon jetzt für illusorisch. Traut Wowereit seinem Verhandlungsführer Körting wirklich? Die eigentliche Verantwortung für das Personal hat seit eineinhalb Jahren nicht mehr Körting, sondern der Finanzsenator.
Erstaunlich gut. Körting beschreibt seine Taktik so: „Meine Psychologie ist, immer wieder ein neues Angebot zu machen.“ Zuletzt schlug er vor, Berlin in die Tarifgemeinschaft der ostdeutschen Kommunen aufzunehmen. So wäre eine Rückkehr in den Flächentarifvertrag möglich. Selbst eine Lohnerhöhung wäre für Körting vorstellbar, wenn Ver.di das Geld im Rahmen eines „Solidarpakts“ wieder rausrückt.
„Ich habe mich gehütet, meinen Verhandlungspartner zu beschimpfen“, sagt Körting. Die Betonung liegt dabei auf „ich“. Körting selbst fuhr nur einmal aus der Haut: „Der Selbstbedienungsladen öffentlicher Dienst ist geschlossen.“
Körting – das klingt paradox – fürchtet, dass sein Gegner sich beim Streik verhebt. „Ein Streik fördert das Risiko, dass es eine Debatte über staatliche Aufgaben gibt.“ Anders als Wowereit glaubt Körting jedoch nicht, dass Private immer effektiver sind als der Staat. „Ich will keine neue Republik aufbauen“, schwört Körting. Er sieht in den Gewerkschaften stärker die Sozialpartner als den Gegner.
Körting will nicht den Sieg über die Gewerkschaften, sondern einen Sieg der Vernunft gemeinsam mit den Gewerkschaften. „Diesmal geht es nicht ums Pokern. Unsere Verhandlungen werden viel politischere Verhandlungen als die üblichen Tarifgespräche.“ Wenn Tremper und seine Kollegen mit Körting keinen Kompromiss finden, dann mit keinem Verhandlungsführer.
ROBIN ALEXANDER