Polizisten gegen „falsch Zählen“

Schon immer war die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) umstritten. Seit neuestem aber ist nicht mal mehr die Bremer Polizei mit ihr einverstanden – denn seit Jahresbeginn wird anders gezählt. So haben es die Innenminister der Länder beschlossen

Macht die Statistik bald aus zehn Vergewaltigungen eine?

Trickserei bei der Polizei? Auf Anweisung von oben, quasi organisiert? Polizisten fürchten dies, seit Vertreter der Innenbehörde die Spitze der Bremer Kripo kürzlich über die neue „Richtlinie für die Führung der Polizeilichen Kriminalstatistik“ informierten. Danach sollen Tatvorwürfe, wie sie die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) registriert, künftig anders gezählt werden: Mehrere Taten könnten zu einer zusammenschnurren. Schon sagen Polizisten: „Das wahre Ausmaß von Kriminalität wird künftig verschleiert.“

Tatsächlich wird die zu Jahresbeginn eingeführte neue Zählweise die Gesamtzahl der übers Jahr registrierten polizeilichen Tatvorwürfe sowie die Zahl der Tatverdächtigen reduzieren. Aber das soll auch so sein. Denn die Nordländer wollten gegenüber Bayern und Baden-Württemberg nicht länger als die Regionen dastehen, in denen mehr Diebe, Räuber und andere schlimme Finger wohnten – nur, weil dort bislang akribischer gezählt wurde. Die Initiative dazu, eine andere Zählweise einzuführen, ist von Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ausgegangen – wo das neue Vorgehen unter Polizisten auch weniger umstritten ist als an der Weser. Hier fürchten Ordnungshüter, dass mit der schrumpfenden Anzahl gezählter Delikte auch ihre Arbeitsleistung geschmälert werde.

Als drastisches Beispiel für eine Straftat, die „bereinigt“ werden könnte, kursiert die Vergewaltigung: Habe ein Mann seine Partnerin vier Mal im Jahr vergewaltigt, so werde dies nur noch als eine Tat gezählt. Motto: Ein Täter, ein Opfer – und dieselbe Tat, in diesem Fall Vergewaltigung. Doch gelte Gleiches auch für den Spielhallenräuber, der immer in der selben Spielothek abkassiert. Oder für den Rowdy, der in einer Nacht sieben Autos in derselben Straße demoliert. Sie alle fielen unter die statistische Rubrik „natürliche Handlungseinheit“, die der neuen Anweisung zufolge vorliegt, „wenn mehrere Handlungen in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen“.

„Wir sind nicht sehr zufrieden mit dieser Zählweise“, sagt dazu der Vorsitzende des Personalrats der Polizei, Willi Hinners. „Die Bevölkerung muss doch wissen, bei wie vielen Delikten die Polizei tätig geworden ist.“ Würde die Statistik verändert, hätte sie eine verminderte Aussagekraft. Es könnte so aussehen, als gäbe es weniger Vergewaltigungen. Auch den Opfern werde so Unrecht getan.

Der Sprecher des Bremer Innenressorts, Markus Beyer, verteidigt dagegen den Beschluss der Länderminister. „Das Ziel ist die Vereinheitlichung der Länderstatistiken.“ Der Prozess bis zu einer Einigung sei mühsam gewesen – aber endlich erfolgreich. „Bremen wird nicht ausscheren.“

Fachleute bundesweit argumentieren unterdessen auch mit der bald erwarteten Einführung des bundesweiten Informations- und Fahndungssystems der Polizei, Inpol-neu. Dabei könne nicht angehen, dass jede Länderpolizei unterschiedlich vorgehe, sagen sie – und manche lästern, die Bremer Polizei sei wohl nicht auf dem Laufenden gewesen – denn die jetzt kritisierte Zähl-Richtlinie sei bereits fünf Monate alt. Im Übrigen seien die Experten aller Länder einig, dass auch die bisherige Statistik Verzerrungen enthielt. Ihr Beispiel: Ein einziger, sehr aktiver Internetbetrüger in Hamburg oder Bremen wäre nach der alten Zählweise leicht mit mehreren zig-tausend Fällen zu Buch geschlagen – und hätte damit jede Statistik verzerrt. Ein solcher Ausreißer hätte schon immer erklärt werden müssen – nun werde man im kommenden Jahr also die neue Statistik insgesamt erklären. „Danach wird man die Länderstatistiken dank klarer Vorgaben besser miteinander vergleichen können“, sagt Beyer. Zugleich betont er: „Die PKS war immer eine Arbeitsstatistik der Polizei.“ Ihre Aussage habe stets eigens interpretiert werden müssen.

Dafür, dass die Statistik noch nie neutral war, sprechen die jüngsten Vorgänge in Hamburg und Niedersachsen. Während Experten noch rätseln, wie Innensenator Ronald Schill die Zahl der Straftaten an der Alster um 15,5 Prozent senkte – wenn auch mit der seit zehn Jahren niedrigsten Aufklärungsquote von 42,8 Prozent – schritt gestern in Niedersachsen noch schnell der scheidende Innenminister Heiner Bartling (SPD) zur Tat und veröffentlichte seine Kriminalstatistik. Danach ist zwar die Zahl der registrierten Taten um 7,3 Prozent gestiegen, aber auch die Aufklärungsquote lag mit 53,3 Prozent legendär hoch. Ein Ergebnis, wie es sein CDU-Nachfolger vielleicht nicht errechnet hätte, lachen Beobachter. ede