Kompromiss soll Nato-Einheit retten

Das westliche Militärbündnis einigt sich auf „rein defensive“ Maßnahmen zum Schutz der Türkei gegenüber dem Irak. Nicht erwähnt wird die Feuerleitfunktion der Awacs-Flugzeuge. Die US-Regierung fordert jedoch weiter gehende Schritte

von ANDREAS ZUMACH

Die Nato hat den seit Wochen schwelenden internen Streit um militärische Unterstützung für ihr Mitglied Türkei im Falle eines Irakkrieges vorläufig beigelegt. In der Nacht zum Montag einigte sich der Verteidigungsplanungsausschuss der Allianz in der Brüsseler Nato-Zentrale nach 13-stündigen Verhandlungen auf einen Formelkompromiss. Frankreich, das dem Ausschuss seit seinem Austritt aus der integrierten Militärstruktur der Nato im Jahre 1966 nicht mehr angehört, war an dem Beschluss nicht beteiligt.

Laut dem Kompromiss kann der Nato-Ausschuss jetzt die Planungen beginnen für eine Verlagerung von Awacs-Aufklärungsflugzeugen und von „Patriot“-Luftabwehrraketen in die Türkei sowie von Einheiten und Geräten zum Schutz vor einem Angriff mit chemischen und biologischer Waffen. Nach Abschluss der Planungen muss der Nato-Rat einen zweiten Beschluss über die Stationierung der Waffensysteme in der Türkei fassen.

Die militärische Unterstützung der Türkei für den Fall eines Irakkrieges war Mitte Januar zunächst von den USA beantragt worden. Frankreich, Deutschland, Belgien sowie ursprünglich auch Luxemburg hatten unter Hinweis auf die noch laufenden diplomatischen Bemühungen zur Lösung der Krise sowie die Waffeninspektionen Widerspruch angemeldet. Daraufhin richtete die Türkei unter Berufung auf eine angebliche Bedrohung ihres Territoriums letzte Woche ein formelles Beistandsersuchen an ihre Bündnispartner. Deutschland und Belgien hatten ihren Widerstand in der Nacht zum Sonntag schließlich aufgegeben, nachdem sie folgende Erklärung als Teil des Beschlusses durchsetzen konnten: „Diese Entscheidung bezieht sich ausschließlich auf die Verteidigung der Türkei und greift keiner anderen Operation der Nato vor. Die Nato unterstützt weiterhin die Bemühungen der Vereinten Nationen, eine friedliche Lösung der Irakkrise zu finden, und wird die Debatte im Sicherheitsrat aufmerksam verfolgen.“

Nach Darstellung von Nato-Generalsekretär Lord Robertson ist der Beschluss der Allianz „kein Schritt in Richtung auf einen Krieg“. Die beschlossenen Maßnahmen seien überdies „rein defensiv“. Der Generalsekretär unterschlug mit dieser Feststellung die Tatsache, dass die unter anderem mit deutschen Soldaten bemannten Awacs-Flugzeuge neben der auf den Schutz des Luftraums der Türkei zielenden Aufklärung auch die offensive Aufgabe haben, als Feuerleitsysteme für Kampfflugzeuge zu dienen. Diese offensive, kriegerische Funktion der Awacs-Systeme wird in Deutschland bislang von der Bundesregierung immer noch bestritten.

Über die jetzt beschlossenen Maßnahmen hinaus hatten die USA in ihrem ursprünglichen Ersuchen auch Schutzmaßnahmen der Nato für die Luftwaffenbasis Incirlic sowie für weitere Militärstützpunkte in der Türkei gefordert, die die Luft- und Bodenstreitkräfte der USA im Falle eines Krieges benutzen wollen. Zudem verlangte die Bush-Administration, dass US-Einheiten aus Nato-Marineverbänden im Mittelmeer, die für einen Einsatz im Krieg abgezogen werden sollen, durch Einheiten anderer Nato-Staaten ersetzt werden. Eine Entscheidung über diese beiden Anforderungen wurde in Brüssel zunächst vertagt.

Der Beschluss der Nato beschränkt die zugesagten Maßnahmen „zum Schutz der Türkei“ nicht auf den Fall, dass Irak in Reaktion auf einen vom UNO-Sicherheitsrat mandatierten Angriff der USA, Großbritanniens und anderer Staaten militärisch gegen Streitkräfte der Angreifer auf türkischem Territorium zurückschlagen würde. Damit gelten die Maßnahmen auch für den Fall, dass die Nato-Staaten USA und Großbritannien Irak ohne UNO-Mandat und damit unter Verstoß gegen die UNO-Charta von türkischem Territorium aus angreifen würden. In diesem Fall wären militärische Gegenschläge Iraks ein legitimer Akt der Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UNO-Charta.