Schlösser für Bagdad

DAS SCHLAGLOCH      von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Kein Blut, sondern doch lieberDollars für Öl – that’s fuckingmarktwirtschaft

Ein Promille Tote, exakt 59 Kriegsopfer auf 60.000 Einwohner – das wäre doch mal ein kulantes US-Angebot an den Irak. Aber: Bagdad ist nicht Velbert. Die ehedem pulsierende Metropole der deutschen Schloss- und Beschlagindustrie liegt beschaulich im Städtedreieck zwischen Essen, Wuppertal und Düsseldorf. Und lag schon da, als die angrenzenden oder nahen Großstädte, bevorzugt ihrer Rüstungsschmieden wegen, jeweils zu mehr als der Hälfte kriegszerstört waren.

Angloamerikanische Luftangriffe auf Krupp in Essen, Rheinmetall in Düsseldorf oder Chemieanlagen in Wuppertal führten stets auch zu Luftalarm in dem Kleinstädtchen mittendrin. 1944 stürzten die Velberter in 160 Nächten und an 240 Tagen in die Schutzräume; im Frühjahr 45 gellten tagsüber durchschnittlich acht- bis neunmal die Sirenen. Es sträubt sich einiges, trotzdem hinzuschreiben, dass „nur“ 50 Häuser völlig zerstört wurden. Doch die „schrecklichen Zerstörungen durch die Bombenangriffe der Angloamerikaner“, notiert eine sorgfältige Chronik, „bekamen die Velberter indirekt“ zu spüren. Als hunderte ausgebombter Familien aus dem Gau Essen in das leidlich unversehrte Industriestädtchen im Niederbergischen umgesiedelt wurden.

Bleibergquelle, Silberberger Weg, oder Kupferwald, vulgo Küppersbusch – sind Straßen- und Gemarkungsnamen, die noch heute verraten, dass der Ahn dort Erze fand. So wurde das nahe Solingen zur Klingenstadt von Weltruhm. Und an den nördlicher gelegenen Bachläufen Velberts hämmerten Schmieden früh Kleinmetallteile. Also zunächst zum Beispiel, später vor allem: Schlösser und Schlüssel. So ist mir Sohn der bergischen Heimat zwingend aufgegeben, im Vorzimmer von Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer freudig erregt den erstbesten Schrank zu öffnen und mit einem wissenden „HeKna … Herrmann Knapp, Möbel- und Zylinderschlösser, Velbert“ fingernd über die Schließstange zu gleiten. Die Hinterzimmer, die Geheimkammern der Macht! Komm’ ich zwar auch nicht rein, aber wenn doch, kann ich bei Ansicht des Türbeschlags immerhin „CES – Carl Eduard Schulte, Velbert!“ innig murmeln. WilKa – Wilhelm Karrenberg, was ganz Massives für die Haustür. Und stets, wenn Fremde stur und arrogant Velbert so dermaßen noch-nie-gehört gar nicht kennen, dann packt man sich halt ihren Schlüsselbund, wurstelt den Daimler-Ford-Audi-sonstwas-Schlüssel hervor und fragt inquisitorisch: „Und was ist das? Was bedeutet dieses winzig dort eingeprägte HuF, du Laie?“ Hülsbeck und Fürst, natürlich, aus Velbert, „das merkst du dir jetzt.“

Nun brauchten wohl auch Wehrmachtsfahrzeuge Schlüssel, und im Wegschließen von Menschen, was die Nazis mit einschlägigem Werkzeug perfektionierten, wäre gewiss kein Angriffshindernis zu sehen gewesen, im Gegenteil. Zumal auch in Velbert die Herstellung von allem, was nicht kracht und mordet, schnell beendet und auf „kriegswichtige Produktion“ umgestellt worden war. Das Städtchen tat unterschiedslos mit im verbrecherischen Krieg, schickte Männer und Söhne Heil schreiend zum Heldensterben, und bangte wie alle anderen in Todesangst, und hungerte und zitterte. Allein, wenn es aus den Bunkern wieder ans Licht ging, staunte man anderes als andernorts: Wie viel, wie fast alles, diesmal wieder stehen geblieben war.

Auch diese Schrulle sagt: Je älter, desto genauer wissen viele Deutsche, wie Krieg sich anfühlt

Es gehört zur neueren Debatte um die Frage, ob man die alliierten Luftangriffe in Teilen Terror nennen dürfe, dass Unterlagen über englische und amerikanische Bombenzielauswahl sorgfältigst zu beforschen wären. Vielleicht mag man es auch nur nebensächlich finden: dass angesichts der lockenden Brocken Düsseldorf, Wuppertal, Essen ringsum – kein Geschwader sich die Mühe machte, auch die Kleinstadt inmitten noch eben abzufackeln. Auch wenn in den Gießereien dort Schlimmeres als nur gering kriegswichtiges Kleinzeug produziert wurde. Einmal, erzählt meine Mutter, sei der „Christbaum“, also die vorab geworfene Feuermarkierung für die Bomberpiloten, statt im Essener Süden im Velberter Norden niedergegangen. Da hätten die nachkommenden Amiverbände dann eben vorschriftsgemäß Velbert bombardiert, auch egal.

Nun wäre der aus all diesem zu ziehende Rat, Bagdad möge sich mit Blick auf seine nahe Zukunft eine Schlossfabrik zulegen, bis hierhin eher metaphysischer Natur. Automatisierte Maschinen spucken heute in Sekunden aus, woran der Schlossschmied früher tagelang feilte. Eine Nischenindustrie, schnell zu ersetzen und anderswo neu aufzubauen. So was wirft der Ami bei der bombengestützten Fernübertragung von Menschenrechten und so weiter gern mit kaputt. Nein, auch diese heimatgeschichtliche Schrulle sagt zunächst einmal nicht mehr als: Je älter, desto genauer wissen viele Deutsche, wie Krieg sich von unten anfühlt. So christdemokratisch etwa Velbert nach dem Krieg immer wieder gerne mal gewählt hat, so dumm steht’s um die Haltung der Bundes-Union zum Irakkrieg. Mit jedem Vielleicht-doch ein-bisschen-jein-zum-Krieg vergrault die konservative Partei Kernwähler, gerade Ältere.

Und zweitens hilft vielleicht die Antwort, die die Velberter sich gaben und die Älteren einander bis heute geben – warum es nach fast jeder Sirenen-Entwarnung heil davongekommen gleich wieder an die Arbeit ging: BKS, Stanley, Yale & Towne. Um am Prosperieren der kleinen, wohleingeführten Marken teilzuhaben, hatten sich die Amerikaner schon früh vor dem Krieg in die örtliche Industrie massiv eingekauft. Nach außen blieben tradierte Labels sichtbar, in der Konzernbilanz waren es Gliederungen einer US-Großfirma. In rustikalem Schluss folgerten die Alten: Bei allem Propagandalärm, Nazi-Ideologie gegen Westalliierte, schön und gut – aber der Ami wird sich doch seine eigenen Fabriken nicht kaputtkloppen! Noch im Sommer 45 wurde bei den US-Ablegern die Friedensproduktion wieder aufgenommen, man wählte einen Betriebsrat, und den – Spaß muss sein – mit stramm kommunistischer Mehrheit.

Velbert tat mit im verbrecherischen Krieg, bangte wie alle anderen, hungerte und zitterte

Tja, Saddam. Den Amis die ganze Bude zu verkaufen – kein Blut, sondern doch lieber Dollars für Öl – wäre die Lehre aus dieser Geschichte. That’s fucking marktwirtschaft. Der Verdacht, dass die Deutschen – vom Ami lernen heißt Geld verdienen lernen – schon deshalb keinen Krieg gegen Irak wollen, weil sie sich wichtige Handelspartner nicht zerbomben wollen, wird eh allerorten gestreut. Vermutlich ist so was gemeint, wenn man vom Machbaren in der Politik redet: Business in Bagdad – oder Bomben auf Bagdad: beides ist moralischer Bankrott. Und wenn schon beides schlimm ist, zählen wir doch einfach kurz durch, bei welcher Version mehr Menschen überleben werden. Wobei das Abzählen ja nicht die starke Seite der Bush-Minderheitsregierung ist, leider.