: Damit der Kontext nicht immer fehlt
Wie die Römer nach Nigeria kamen: Den „Verflechtungen von Theaterkulturen“ ist ein neues Forschungskolleg der FU gewidmet, das mit dem Festvortrag eines Theoretikers des afrikanischen Theaters, Biodun Jeyfio, eröffnet wurde
Die Praktiker sind längst schon da, die wissenschaftliche Begleitmusik folgt jetzt. Als am zurückliegenden Donnerstag das weltweit erste internationale theaterwissenschaftliche Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“ in Dahlem offiziell eröffnet wurde, saßen Matthias Lilienthal und Kirsten Hehmeyer, Intendant und Pressereferentin des Theaterkombinats HAU, mit unter den Zuhörern der Festredner. Für den nächsten Tag schon hatten sich die internationalen Fellows für einen Besuch von Neco Çeliks Inszenierung „Invasion“ im Hebbel-Theater angemeldet.
Das neue Institut residiert in Dahlem in einer edel sanierten Villa, deren Räume bis letztes Jahr noch von Forschern der Insektenwelt genutzt wurden. Stolz führte Erika Fischer-Lichte, Professorin für Theaterwissenschaften an der FU und zusammen mit Gabriele Brandstetter Initiatorin des Projekts, durch die mit schönen roten Fauteuils, leeren Regalen und jungfräulichen Schreibtischen eingerichteten Zimmer, die ab jetzt zehn Fellows für ihre einjährigen Forschungsaufenthalte zur Verfügung stehen. Zu ihnen gehören die junge Professorin und Dramatikerin Carol Fisher Sorgenfrei von der Universität of California aus Los Angeles und der Anthropologe Klaus-Peter Köpping, die sich beide mit der Nachkriegsmoderne Japans im Theater, Tanz und religiösen Ritualen beschäftigen wollen, während sich James R. Brandon, langjähriger Spezialist des asiatischen Theaters, sich für die Zensur im japanischen Theater während der amerikanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg interessiert. Aus Marokko, einem der Länder, von dessen Theater man in Deutschland sehr wenig weiß, ist Khalid Amine zu Gast, der in Tanger auch ein Theaterfestival geleitet hat. Die Komparatistin Ramona Mosse, die sich mit den theatralen Aspekten der Hiphop-Kultur beschäftigt, kommt von der Columbia University. Bekannt in Berlin sind bisher schon André Lepecki, am Haus der Kulturen der Welt Kurator für das Festival In Transit, und der Performer David Moss, der ab Donnerstag im Ballhaus Ost in der Produktion „Starship Utopia“ auftritt.
Möglich wurde die Einrichtung des Kollegs durch ein Programm, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 2007 aufgelegt wurde, um in den Geisteswissenschaften die internationale Kommunikation zu fördern. Sie schrieben 12 Projekte aus, gerade auch für die Vernetzung von kleinen Fächern. Das Berliner Konzept gehörte zu den ersten drei Vorhaben, die auf den Weg gebracht wurden, und ist für vorerst sechs Jahre mit einem Etat von knapp 10 Millionen Euro ausgestattet.
Das Theater hat von jeher, nicht erst seit der viel beschworenen Globalisierung, von der Begegnung verschiedener Ausdrucksformen Impulse erhalten, wie schon ein Rückblick in die Geschichte des deutschen Theaters zeigt, das in der Zeit des Feudalismus von wandernden Truppen aus Italien und anderen europäischen Ländern erst angeschoben wurde. Dass dies aber nicht ohne Konflikte geschieht, die tief in die kulturelle Identität eingreifen, malte der Festvortrag von Biodun Jeyfio, Harvard Professor und Theoretiker des modernen afrikanischen Theaters, aus. Er begann mit der Erinnerung an ein „end of the year concert“ seiner Primary School, Ende der 50er-Jahre, in Nigeria. Er spielte mit seiner Klasse in einem Musical mit, das auf der Musik und den Tänzen der Yoruba beruhte, und trug den berühmten Monolog des Marc Anton nach Shakespeares’ „Julius Cäsar“ in englischer Sprache vor, – „Mitbürger, Freunde, Römer“ –, dessen Erfolg ihn besonders stolz machte. Ein glücklicher Moment seiner Kindheit, dessen Bewertung sich aber verkehrte ab dem Moment, als koloniales Erbe und die Suche nach einer Identität des neuen unabhängigen Staates ideologisch aneinandergerieten. Daran, wie sich die Bedeutung der Schulaufführung mehr als einmal für ihn veränderte und wie er um die Liebe zu Shakespeare und den Klassikern kämpfen musste, konnte Jeyifo nicht allein die Geschichte der postcolonial studies und ihrer Notwendigkeit festmachen, sondern auch eine Kritik an neuen Ausschlussmechanismen.
Das war ein wunderbarer Ausblick auf das, was kommen kann. Tatsächlich hat Berlin mit dem Haus der Kulturen der Welt, dem HAU und anderen einige Institutionen, die die Vielfalt von Theaterkulturen sichtbar zu machen versuchen. Die Vermittlung des fehlenden Kontextes ist dabei oft ein einsames Geschäft, gestemmt von Kuratoren, die von ihren Expeditionen oft die wichtigsten Erfahrungen nicht mitbringen können. Mit dem neuen Forschungskolleg öffnet sich jetzt aber eine Tür, für diese Aufgabe in Zukunft fundierten Beistand zu gewinnen.
KATRIN BETTINA MÜLLER