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Archiv-Artikel

Norwegen wird nicht türkisch

KÖLN taz ■ Der Nasenbär, der sich munter einen nach dem andern runter holte, durfte nicht auf die Bühne. Die Kopfstand turnende Gans, der mal wieder kein Schwein zuguckt, schaffte es immerhin aufs Programmheft. Ins Rampenlicht aber brachten es als Zitat die Schweineigel: „Die meisten Schweineigel wohnen rings unm erogene Zonen“. Um solche legendären Nonsens-Texte von Robert Gernhardt und deren mühsame Erschaffung ging es „WimS – Welt im Spiegel“, ein Theaterstück über drei Tage mühsamen Dichteralltag, zusammengestellt von Charles Lewinsky, das am Silvesterabend im Theater im Bauturm seine deutsche Erstaufführung hatte und Qualitäten zum Dauerbrenner zeigt.

Petra Moser hat die Bühne in eine karge Dichterwerkstatt verwandelt: Drei Betten und drei Tischchen mit Schreibmaschinen bilden die Fixpunkte. Hier erarbeiten die drei Schauspieler ihre Texte. In der Pardon-Redaktion der 60er und 70er Jahre dürfte es sicher etwas chaotischer zugegangen sein. Dort entstand seinerzeit die „WimS“, eine „Beilage“ zum ersten deutschen Nachkriegs-Satiremagazin. Hier wurden Texte veröffentlicht, die die Normalität des sprachlichen Alltags unterminierten, die den Mief dieser Zeit durch Satire und Komik zu vertreiben suchten. Dass dieser Mief auch über „Liebe, Erotik und Sexus“ waberte, zeigt nicht nur durch der so betitelte Sketch. Viele der Sprüche sind inzwischen „Volksgut“ geworden – und die Textkenntnis des Theaterpublikums wird wiederholt „abgefragt“.

Das Stück ist keine bloße Aneinanderreihung von Texten, stattdessen werden diese mit verblüffenden Überleitungen zu einem „Stück“ verbunden. So wird aus dem Weinen über den Tod das Sirenengekreisch von Jagdflugzeugen, die die Hauptrolle im nächsten Stück spielen. Dabei werden die absurden Sprüche, Theaterminiaturen oder philosophischen Abhandlungen mit ebenso skurrilen Gesten, Grimassen und Lautmalereien unterlegt und nach allen Regeln der Dramaturgie (Regie: Martin Jürgens) durchgeknetet.

Dabei entlarvt sich manch scheinbarer Schwachsinn als höchst brisant und aktuell. Etwa wenn ein Endlosschleifentext, zunächst als harmloser Dialog vorgetragen, zum lautstarken Streit eskaliert. Und wenn jemand Unterschriften sammelt für „Norwegen darf nicht türkisch werden“, ohne dass er irgenwelche Anzeichen dafür vorlegen kann, dass irgendwer Norwegen türkisieren will, dann erinnert das fatal an die vorgebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak.

Bei den Darstellern kann sich Franz Mestre gegenüber seinen Mitstreitern Regina Gisbertz und Axel Gottschick lediglich quantitativ leichte Vorteile verschaffen – qualitativ ist das Trio gleichmäßig hervorragend, spielfreudig und sangeslustig. Bei der Premiere gab es zu Recht langen Beifall. JÜRGEN SCHÖN

Weitere Aufführungen: 7. bis 10. Januar, jeweils 20 Uhr, Theater im Bauturm, Aachener Str. 24, Tel 0221 / 52 42 42