: „Mich soll der Staat erhalten“
Franz Schubert scheint relativ klare Vorstellungen vom Anspruch auf soziale Sicherung gehabt zu haben. In der „Glocke“ wird eine seiner „Schubertiaden“ rekonstruiert
Viel weiß man nicht von den Konzerten, die der Komponist Franz Schubert eher privat mit seinen Freunden in Wien veranstaltete, vieles musste auch geheim bleiben: Denn die berühmten „Schubertiaden“ waren alles andere als musikalische Saufgelage. Sie waren – auch – subversive Treffen in einem Staat, in dem 20 Prozent der Bevölkerung Spitzeldienste für den Geheimdienst leisteten. Seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 konnte jegliche bürgerliche Hoffnung auf Freiheit begraben werden.
Ein einziges öffentliches „Privat-Concert“ hat es in Schuberts Todesjahr 1828 allerdings gegeben, am 26. März im „Lokal des österreichischen Musikvereins unter den Tuchlauben No. 558“. „Ungeheurer Beifall, gute Einnahme“, konnte sein Freund Eduard von Bauernfeld in sein Tagebuch schreiben. Der Bremer Pianist Nikolaus Lahusen hat es jetzt für die „Zweite Philharmonische Nacht“ rekonstruiert.
„Seit meinem Examen, in dem ich über Schubert und die Restauration gearbeitet habe, möchte ich seiner Spur noch weiter folgen“, erzählt der Pianist. Und ist überzeugt: „Wenn wir uns auf dieses Konzert eingelassen haben, sind wir schlauer als zuvor“.
Zunächst scheint vieles rätselhaft an dem von Schubert selbst zusammengestellten Programm. Von dem großen Streichquartett in G-Dur wählte der Komponist nur einen Satz, dafür ließ er das Klavier-Trio in Es-Dur mit seinen sinfonischen Dimensionen und einer Länge von 50 Minuten ganz spielen. Lahusen: „Ich glaube, dass er ein Werk zeigen wollte, das er selbst in dem damaligen Paganini-Wirbel für zukunftsweisend hielt. Und dieses verweist ja fast auf Bruckner.“
Robert Schumann hat dieses Werk so geliebt, dass er zu dem allzu frühen Tod des 31-Jährigen sagte: „Nachzugrübeln, was er noch hätte erreichen können, führt zu nichts. Er hat genug getan, und gepriesen sei, wer wie er gestrebt und vollendet“.
Dann wieder wählte Schubert regelrecht Konventionen aus, vielleicht, um nicht anzuecken: Mit dem „Schlachtlied“ für Männerchor zum Beispiel, mit den quasi-religiösen Liedern für Tenor und Klavier. Durch das Programm mit originalen Texten aus Briefen und Tagebüchern führt Udo Samel, der sich wie kein zweiter mit der Persönlichkeit Schuberts auseinandergesetzt hat. In Fritz Lehners Fernseh-Dreiteiler „Mit meinen heißen Tränen“ war er ein unvergesslicher Schubert, ein Außenseiter, ein verkannter Künstler, ein charismatischer Schmerzensmann – einer, der keine Aufträge erhielt und meinte: „Mich soll der Staat erhalten. Ich bin für nichts anderes als Komponieren auf die Welt gekommen“.
Lahusen ist davon überzeugt, dass die biographische Aufbereitung zum Verständnis eines Komponisten erheblich beiträgt: „1828: Eine Reise zu Schubert“ nennt er denn auch das Konzert. Seine Rekonstruktion jedenfalls ist schon eine kleine Sensation, für die neben Nikolaus Lahusen unter anderen auch das Orpheus-Quartett, die Singphoniker und der Tenor Herbert Lippert sorgen.
Ute Schalz-Laurenze
Freitag, 19 Uhr, im gr. Saal der Glocke