: Hölle ist, was man daraus macht
Im Wortsinn ungeschminkt: Das Bremer Theater dimmt Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ zu einem Wahnsinn bei Raumtemperatur herunter. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass Regisseurin Karin Henkel eigentlich mehr vorhatte
1947, New Orleans: Von außen drückt schwülfeuchte Hitze und drinnen, in der schäbigen Zweizimmerwohnung von Stella und ihrem Ehemann Stanley, explodiert das Beziehungsbarometer. Hätte man sie in ihrer Zweierkonstellation schmurgeln lassen, hätten sie diesen Sommer vielleicht überstanden – Stella hat sich damit arrangiert, dass Stanley auf seine Macho-Schikanen weinerliche Reue folgen lässt, und Stanley hält sich fest an Budweiser und Zockerabenden. Aber die beiden bekommen Besuch, einen Gast, der ihnen dicht auf den Pelz rückt: Stellas affektierte Schwester Blanche steht auf einmal in der Wohnung und will, jüngst heimatlos geworden, erstmal länger bleiben.
Der schwitzende Prolo Stanley hat eine Gegenspielerin im Pailettenkleidchen bekommen, eine Gegenspielerin, die sich einmischt: Blanche versucht, ihre Schwester und Stanley zu entzweien. Und Stanley versucht, an das Familien-Erbe von Blanche und Stella heranzukommen – es geht um den Landbesitz „Belle Rêve“, den Blanche allerdings „verloren“ haben will. Und es geht um eine gute Portion Lebenslügen, die die angebliche Ex-Lehrerin Blanche mit- und einbringt in eine Dreier-Konstellation, die von Anfang an höllisch angeheizt ist. Tennessee Williams’ Figuren schwitzen hinter der „Endstation Sehnsucht“, und man wartet auf den Schweißtropfen, der das Fass – endlich – zum Überlaufen bringt.
In der Inszenierung von Karin Henkel im Schauspielhaus des Bremer Theaters ist allerdings nicht viel mit Schwitzen: Ein kniehoher, neonbeleuchteter Vorsprung zieht sich im Hintergrund über die Bühne und sorgt erst einmal für Kühle. Im Vordergrund steht statt einer Zweizimmerwohnung ein Wohnwagen, seitlich zum Publikum hin geöffnet. Die schwülfeuchte Kleinbürgerhölle steht bei Henkel in weitläufiger Umgebung und sieht ansonsten ganz so aus, wie’s der Stücktext nahelegt: Sitzecke, Kühlschrank, Kaffeekanne, bunte Vorhänge und im Radio Schlager der Zeit.
Blanche kommt in die Szenerie über eine Treppe von oben herab, aber ein überschminktes Wesen aus einem Paralleluniversum ist sie keineswegs: Gabriela Maria Schmeide spielt eine im Wortsinn ungeschminkte Blanche, eine Frau im Trenchcoat, der man die Lehrerin sofort abnimmt und vermuten würde: Fächerkombination Bio und Religion. Diese Blanche ist geerdet, ist ein bisschen unsicher und verloren – den kleinen Hang zum unberechenbaren Jähzorn verzeiht man ihr sofort.
Eine sympathische Erscheinung – wie tendenziell auch Torsten Ranft als Stanley. Der hört mit strenger Hornbrille und sauberem Second-Hand-Anzug gerne melancholische Cello-Musik, ist ein bisschen überkandidelt und schmallippig und knurrt mehr, als zu schreien, wenn er wütend wird. Ein schwitzender, plumper Kotzbrocken ist dieser Stanley jedenfalls nicht, genausowenig wie die durchaus selbstbewusste Stella (Wiltrud Schreiner) ein hilfloses Heimchen-am-Herd gibt.
Dieses „Sehnsucht“-Personal befindet sich nicht kurz vor dem Siedepunkt, sondern lebt seinen Wahnsinn eher differenziert bei Raumtemperatur aus. Dabei spielen sie bildungsbeflissen „Wer wird Millionär“ statt Poker und bitten bei heftigen Krisen schon mal den Cellisten am Bühnenrand, die melancholische Begleitmusik zu lassen – als wären sie sich klar darüber, dass Hölle auch immer das ist, was man daraus macht.
Dabei sieht man gerne zu, denn den Tonfall der heruntergedimmten Hölle trifft das Ensemble vortrefflich, Humor inbegriffen. Nur wird man das Gefühl nicht los, dass Regisseurin Henkel gerne etwas anderes gemacht hätte, als eine im Kern doch sehr konventionelle „Endstation Sehnsucht“: Wenn Henkel etwa ein Kind verkleidet als Kätzchen auf die Bühne schickt, um den hoffnungs- und schmalztriefenden Titelsong aus dem Musical „Cats“ singen zu lassen, dann wird klar, dass Henkel mit dem Stück gerne mehr angefangen hätte, als unaufgeregt vom Blatt zu spielen. Die Hölle jedenfalls ist anderswo.Klaus Irler
nächste Vorstellungen: 6., 14., 20. und 21. Februar, 20 Uhr im Schauspielhaus