: Schräg angeschnitten
Als die DDR schon streng auf ihr Ende zuging, war in Ost-Berlin die junge Fotografin Maria Sewcz unterwegs. Ohne Anspruch auf dokumentarische Vollständigkeit machte sie atmosphärisch dichte, zauberhafte Bilder. Diese sind derzeit in Hannover zu sehen
Staatsbesuch. Diverse Herren in Anzügen stehen wie zufällig um Staatskarossen herum, schauen ernst und haben die Arme vorm Gemächt verschränkt. Im Vordergrund steigt ein Herr auf den Rücksitz eines der Autos. Das Seitenfenster ist ausgestattet mit einem Vorhang, den der Herr von innen zuziehen kann.
Ein Schwarz-Weiß-Bild weiter sind Beine in Strumpfhosen zu sehen. Es sind weibliche Beine, und die Frau, der die Beine gehören, sitzt auf einer Bank am Rande einer Fläche, die eine Tanzfläche sein muss. Das Design der Schuhe ist klobig und zugleich verspielt, es handelt sich um Ausgehschuhe. Aus welcher Zeit stammen diese Bilder? Und vor allem: aus welchem Land? Das sind die ersten beiden Fragen, die sich beim Betreten der Ausstellung „inter esse“ im hannoverschen Sprengel-Museum stellen.
Letzte Klarheit gibt es erst bei dem Bild vom Berliner Alexanderplatz, fotografiert mit einem riesigen Schatten des Fernsehturms. Die Bilder wurden in in den 1980er Jahren in Ost-Berlin gemacht, in einem Land namens DDR. Selten hat man die DDR so gesehen, wie sie auf den Bildern gezeigt wird. Weil diese Bilder auf Details setzten statt auf Vollständigkeit, weil sie andeuten, statt auszuleuchten. Und weil sie schräg angeschnitten sind statt gerade durchkomponiert.
Die Bilder stammen von der Fotografin Maria Sewcz, die 1982 mit 22 Jahren ihr Fotografie-Studium an der Hochschule in Leipzig bei dem liberalen Dozenten Arno Fischer beginnt. Sewcz wohnt weiter in Berlin, beginnt im Alter von 25 Jahren mit ihrer Serie „inter esse“ und legt 1987 zum Ende ihres Studiums ein Portfolio mit 35 Bildern vor. Die Chance, die Bilder öffentlich zu präsentieren, bekommt Sewcz erst im Jahr 1989. Sewcz Bilder liegen weit jenseits der Heile-Welt-Ästhetik, die die SED von DDR-Fotografen erwartete.
Aber auch innerhalb der überschaubaren Gruppen an Fotografen, die sich nicht vom Staat instrumentalisieren ließen, spielte Sewcz eine Sonderrolle. Viele DDR-Fotografen zogen sich zur künstlerischen Produktion zurück in die eigenen vier Wände oder an einen unbeobachteten Strand – Sewcz aber arbeitete im öffentlichen Raum. Und ein paar wenige Fotografen verschrieben sich der sozialdokumentarischen Fotografie, sie bildeten den Alltag ungeschönt ab – Sewcz aber interessiert sich für Ausschnitte, sie sucht nach Atmosphäre, die sie verdichtet. Und im besten Fall nach einem Zauber, der mitschwingt.
Was wiederkehrt bei Sewcz sind Motive aus dem Nachtleben, Motive einer fernen, mit Weitwinkel aufgenommenen Staatsgewalt aus patroullierenden Soldaten. Und Tiermotive. Wunderbar ist der Taubenschwarm, der über einer sozialistischen Flachbau-Landschaft schwebt: Man erkennt erst auf den zweiten Blick, dass der Klotz im Vordergrund selbst kein Flachbau ist, sondern ein Taubenschlag. Fein sind auch die Fische mit ihrer zweiten Haut aus durchsichtiger Plastikfolie. Langweilig dagegen ist der Hund auf dem Trabbi-Rücksitz, ein Schnappschuss, wie es ihn wahrscheinlich in vielen Familienalben geben wird.
Maria Sewcz ist nun Ende 40 und lebt und arbeitet immer noch in Berlin. Zwischenzeitlich hatte sie einen Lehrauftrag an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. In der hannoverschen Ausstellung sind drei Arbeiten aus den Jahren 2002-2004 zu sehen, es sind farbige Aufnahmen von Topfpflanzen auf Berliner Fensterbänken. Sewcz ist ganz nah ran gegangen, so dass die Pflanzen mindestens so groß erscheinen wie die Häuser in der Außenwelt. Die Pflanzen trennen das Draußen vom Drinnen. Fein. Aber interessanter wäre, wie Sewcz das Draußen sieht. KLAUS IRLER
Bis 1. 2. 2009 im Sprengel-Museum. Immer freitags ist der Eintritt in alle Ausstellungen des Museums frei