Hoffen auf den Wiederaufbau von Bam

Vier Wochen nach dem verheerenden Erdbeben im Iran haben sich die Menschen im Provisorium eingerichtet. Die Opferzahlen müssen aber immer wieder nach oben korrigiert werden. Einer der Überlebenden ist Ghasem Gholamhossein Negad

AUS BAM TILL MAYER

Ghasem Gholamhossein Negad blickt müde über die Straße. Hinter dem Asphalt beginnt das, was er vor einem Monat noch sein Zuhause nannte. Dort, wo Häuserzeilen standen, ragen nur noch Trümmer auf. Staubwolken steigen gen Himmel. Die Nachbarn des 58-Jährigen suchen im Schutt nach den letzten Habseligkeiten, nach Papieren und Erinnerungsstücken. Mit Schaufeln graben die einen, mit bloßen Händen die anderen. Fotos werden unter brüchigen Lehmziegeln vorsichtig hervorgezogen, Matratzen unter Steingeröll. Irgendwo ragt aus dieser zerbrochenen Welt ein Stahlträger in die Luft.

Imitten eingestürzter Wände steht ein Geschäftsmann. Der aufgewirbelte Staub hat den rundlichen Mittfünfziger mit einer feinen rötlichen Schicht überzogen. Früher verkaufte er Spielzeug. Jetzt hält er zwei schrillbunte Plastikenten in die Luft, die er im Schutt gefunden hat. Der Mann weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll.

Ghasem Gholamhossein Negad denkt oft an die Toten. 45.000 sollen es sein, die in jener Nacht am 26. Dezember ihr Leben verloren. Darunter auch die Frau des 58-Jährigen und vier seiner Enkelkinder. Das Jüngste war gerade fünf Jahre alt. Manchmal macht er sich Vorwürfe, dass es die Kinder waren und nicht er, die das einstürzende Gebäude unter sich begrub.

Einen Monat nach dem schrecklichen Beben müssen die Behörden die Opferzahlen immer wieder nach oben korrigieren. Immer noch werden Tote aus den Trümmerbergen geborgen. Eine Bebenstärke von 6,3 auf der Richterskala, 45.000 Tote, 85 Prozent aller Gebäude zerstört, 30.000 Verletzte, über 75.000 Menschen obdachlos. Statistiken, hinter denen sich die Trauer von Bam versteckt.

An den Straßenrändern reihen sich Zelte aneinander. Über 100.000 hatte der Iranische Rote Halbmond, eine Schwesterorganisation des Roten Kreuzes, zusammen mit Decken, Kochsets, Lebensmitteln und Plastikplanen verteilt. Negad sieht traurig auf die staubigen Planen der beiden Zelte, in denen seine elf überlebenden Familienmitglieder hausen. Nachts ist es empfindlich kalt. Der Rote Halbmond und staatliche Organisationen haben Lager für die Obdachlosen errichtet. Doch noch immer bleiben viele lieber in der Nähe ihrer zerstörten Häuser. Und so stehen die Zelte überall in Bam.

Auch Negad will nicht so weit weg von seinem Grund und Boden, er fürchtet, noch das Letzte zu verlieren, was er noch besitzt: „Mein ganzes Leben habe ich für mein Haus gespart, jeden Tag gearbeitet, damit es meine Familie gut hat. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich machen soll. Ohne die Lebensmittelrationen des Roten Halbmonds müssten wir hungern“, erklärt er.

Jahrzehntelang hatte er in den Dattelplantagen rund um Bam gearbeitet. Doch dort sind die meisten der komplizierten Bewässerungssysteme zerstört. „Im Moment habe ich keine Arbeit“, sagt das Familienoberhaupt.

Nur sein Sohn fährt weiterhin mit dem halb zerstörten Taxi der Familie. Der Wagen ist ein rollendes Wrack, den Kofferraum hat eine umstürzende Mauer zerquetscht. Unter dem zerkratzten Lack glänzt der Stahl. Fahrgäste gibt es nur wenige. Die Menschen in Bam beginnen erst langsam, sich von dem Schock zu erholen. Die Normalität hält leise und mit kleinen Schritten Einzug. Die Straßen sind vom Schutt frei geräumt, hier und da bieten fliegende Händler Obst und Gemüse an.

Nun kommen auch die wieder, die nach dem Beben zu Verwandten außerhalb der Stadt geflohen waren. Doch nicht alle werden zurückkehren. Und fast die Hälfte der Bewohner hat die Katastrophe das Leben gekostet.

Eine Katastrophe, die weltweit zu einer Welle der Solidarität geführt hat. Drei Kilometer vom Zelt der Familie Negad entfernt haben die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften ein Feldhospital aus dem Boden gestampft, das Deutsche Rote Kreuz unterhält u. a. zwei Gesundheitsstationen. Zahlreiche Rotkreuz- und Rothalbmondteams aus der ganzen Welt sind im Einsatz. Und wäre der Iranische Rote Halbmond nicht eine so katastrophenerfahrene Organisation, dürfte die Zahl der Opfer noch höher sein.

Das weiß auch Ghasem Gholamhossein Negad. „Ich bin dankbar für die Hilfe“, sagt er leise. Jetzt hofft er auf den Wiederaufbau.

Der Autor ist Informationsdelegierter des DRK bei der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften in Bam, Iran. Spendenkonto: 414 141, Bank für Sozialwirtschaft, Köln, BLZ 370 205 00, Stichwort: Bam