: berliner szenen Wie Berlin lebt
Ruinen, Bier, Jazz
„Kunst und Leben am Kreuzberg“ verspricht das neue gelb-rote Schild an der Methfesselstraße. Die alte Schultheiss-Brauerei soll ein zweites Mal von ein paar Investoren in ein „lebendiges Quartier mit Wohn-Gewerbe-Mix“ umgewandelt werden. Das Viktoria Quartier hat jetzt allerdings weniger Bewohner als früher. Die damaligen Investoren hatten dem Senat in einem merkwürdigen Deal in Verbindung mit einem Dahlemer Studentenwohnheim versprochen, die Berlinische Galerie im Flaschenkeller unterzubringen. Die wenigen Käufer der teuren Lofts hatte man nicht im Grundbuch eingetragen. Kann man ja mal vergessen.
Toll ist diese schon wieder verfallende Investment-Ruine hinterm Bauzaun. Echter Berliner Aufbruchgeist der Nachwendeära wird hier überwuchert von Grünzeug und Schutt. Typisch: erst Bier, dann kulturelle Zwischennutzung, dann Lofts, dann Konkurs, dann Ödnis. Schultheiss und Berliner Pilsener, diese beiden klassisch handgemachten Berliner Biere, werden übrigens längst in Brandenburg gebraut.
Unlängst lernte ich beim Konzert von Jimi Tenor im Maria eine nette Frau vom Jazzradio kennen, die sicher war, Jazz sei ein Produkt. Die Vermarkter dieses Produktes mussten nun ihre noch ziemlich frisch gestylten Räume in den Sophienhöfen in Mitte verlassen, die sie seit einigen Jahren aufwerten durften. Jetzt haben die Jazzradio-Leute die gleiche Aufgabe im verödeten Viktoria Quartier. Am Kreuzberg gibt es kein Bacomi’s direkt gegenüber (aber immerhin in der nahen Bergmannstraße) und auch keine Hipster, ja, eigentlich überhaupt keine Menschen. Dafür findet hier wenigstens der Produktjazz zurück zu „Kunst und Leben“. ANDREAS BECKER