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Archiv-Artikel

Erneuter Anlauf zum Frieden

In der Elfenbeinküste soll ein neues Abkommen, das die im Januar vereinbarte Friedenslösung ergänzt, jetzt eine Regierung aller Kriegsparteien ermöglichen

BERLIN taz ■ Fast genau ein halbes Jahr nach seinem Beginn soll der Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste jetzt zu Ende gehen. Noch gestern sollte in der ivorischen Hauptstadt Yamoussoukro die personelle Zusammensetzung einer Regierung der Nationalen Einheit verkündet werden, die den Rahmen für eine Friedensordnung bilden soll. Die Regierung soll alle politischen und militärischen Akteure umfassen, die das Land seit einem gescheiterten Putschversuch am 19. September unter sich aufgeteilt haben. Zehn der 41 Ministerposten gehen an die bisher regierende FPI (Ivorische Volksfront) des Staatspräsidenten Laurent Gbagbo, die 2000 die letzten Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte. Neun Posten gehen an die Rebellenbewegung MPCI (Patriotische Bewegung), die seit September 2002 die Nordhälfte des Landes kontrolliert. Die beiden großen Oppositionsparteien RDR (Demokatische Sammlung der Republikaner) und PDCI (Demokratische Partei), deren Kandidaten von den Wahlen 2000 ausgeschlossen waren, kriegen je sieben. Die anderen Sitze gehen an kleinere Parteien, Rebellengruppen und Verbände.

Eigentlich müsste diese Regierung schon längst im Amt sein. Denn bereits am 24. Januar hatten die ivorischen Konfliktparteien sich bei Verhandlungen in Frankreich darauf geeinigt. Das „Abkommen von Marcoussis“ war allerdings nie umgesetzt worden, da Staatschef Gbagbo es nicht in allen seinen Facetten akzeptierte und seine radikalen Anhänger in der Metropole Abidjan massive dagegen protestierten. Ihr Hauptproblem war die Vergabe der Innen- und Verteidigungsministerien an die MPCI-Rebellen. Dies lehnte die Armee ab. Die Rebellen bestanden aber auf ihrem Verhandlungserfolg.

Einen Ausweg fanden Unterhändler erst letzte Woche, nachdem der designierte Premierminister Seydou Diarra – eine führende Figur der ivorischen Zivilgesellschaft – entnervt mit Rücktritt gedroht hatte: Die beiden umstrittenen Ministerien gehen an gar keine Fraktion, sondern werden von einem 15-köpfigen „Sicherheitsrat“ aus Mitgliedern aller Fraktionen koordiniert. Ein entsprechendes Zusatzabkommen unterschrieben alle Konfliktparteien am 7. März in Ghanas Hauptstadt Accra.

Das Accra-Abkommen legt außerdem fest, dass Staatschef Gbagbo seinem Premier Diarra bei Ministerernennungen nicht mehr hineinreden darf, und räumte somit das zweite wichtigste Hindernis für eine Regierungsbildung aus dem Wege. Diarra bekam am Dienstag formell von Gbagbo die Kompetenzen zu den im Abkommen von Marcoussis vereinbarten Friedensschritten übertragen: Wiedervereinigung des Landes, Vorbereitung von Neuwahlen, Reform des ausländerfeindlichen Staatsbürgerschafts- und Bodenrechts.

Die radikalen Milizenführer von Abidjan lehnen das Abkommen von Accra zwar genauso ab wie das von Marcoussis, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie es ebenso effektiv torpedieren können. Hatten die Politiker der Elfenbeinküste die Friedensgespräche von Frankreich noch aufgeregt und streitbar kommentiert, nahmen sie jetzt die Gespräche von Ghana nur noch ermattet zur Kenntnis – im Bewusstsein, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt, den kompletten Zerfall des Landes in verschiedene blutige Kleinkriege noch abzuwenden. Längst haben sich im Westen der Elfenbeinküste diverse Milizen aus dem benachbarten Liberia breit gemacht und massakrieren und plündern unkontrolliert. Die Zahl der Kriegsvertriebenen landesweit liegt nach jüngsten UN-Schätzungen zwischen 600.000 und 800.000. Knapp 400.000 westafrikanische Einwanderer, die Opfer von Diskriminierung und Vertreibung sind, haben die Elfenbeinküste verlassen, davon 180.000 in Richtung Burkina Faso.

Ob die Erschöpfung der Protagonisten ausreicht, um den Frieden Realität werden zu lassen, ist aber nicht nur angesichts der Verselbstständigung des Kriegsgeschehens im Westen des Landes unsicher. Auch die neue Konstruktion von Accra ist konfliktträchtig. In dem neuen „Sicherheitsrat“ sitzen alle Kriegsführer beeinander: Präsident Gbagbo, Premier Diarra, Armeeführer Mathias Doué, die Chefs von Gendarmerie und Polizei und diverse Rebellengeneräle. Entweder wird dieser Sicherheitsrat genauso zur Kampfarena wie sein UN-Gegenstück – oder er agiert als Parallelregierung, gegen die sich die 41 zivilen Minister im Kabinett recht machtlos fühlenwerden. DOMINIC JOHNSON

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