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Archiv-Artikel

Spaß verdorben

Eine wackere Hertha stürzt vor einer beachtlichen Eventkulisse den Tabellenführer von 1899 Hoffenheim

BERLIN taz ■ Berlins Trainer Lucien Favre hatte vor der Partie eine Orkanwarnung ausgesprochen. „Sie haben viel Power nach vorne. Es kommt von überall.“ Entsprechend sensibilisiert agierte die Hertha Abwehr von Beginn an äußerst wachsam.

Das effiziente Hoffenheimer Steilpassspiel der letzten Wochen war in seiner variablen Struktur zwar durchaus wieder zuerkennen. Der entscheidende Geniestreich gelang jedoch nicht. Anstatt Chancen zählte man nur Fast-Chancen für das offensivstärkste Dreigestirn der Liga. Die hoffnungsvollsten vertikalen Vorstöße der Gäste wurden von Sejad Salihovic, Demba Ba und Chinedu Obasi allesamt um ein oder zwei Meter verpasst.

58.862 Zuschauer, so viele wie noch nie in dieser Saison waren in der Hauptstadt ins Olympiastadion gepilgert, um das tausendfach gelobte Offensivspektakel der Emporkömmlinge aus dem Kraichgaudorf zu bestaunen. Am Ende feierten sie einen schwer erkämpften 1:0-Sieg der Herthaner. Die Auftritte der Hoffenheimer Fußballer sind zum Event geworden.

Die hochgeschraubten Erwartungen konnten das Team von Ralf Ragnick vor allem in der ersten Halbzeit jedoch nicht erfüllen. Mit zunehmender Spieldauer neutralisierten sich die beiden Teams auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions. Von Entertainment keine Spur. Auch der gute Vorsatz der Berliner die vermeintliche Schwachstelle der Gäste, die Defensive, in Verlegenheit zu bringen, konnte nicht umgesetzt werden. Selbst als sich in der 19. Minute die These der labilen Deckung zu bewahrheiten schien, und Hoffenheims Verteidiger Marvin Compper den Ball an der Strafraumgrenze verstolperte, reagierte Andrey Voronin zu hastig, um die gute Chance zu nutzen.

Nach der Pause gewann die Partie dann die Dramatik, die sich viele erhofft hatten. Erst verpasste Maximilian Nicu (53. Minute) mit einem Distanzschuss knapp den Berliner Führungstreffer. Dann schoss Demba Ba auf der Gegenseite innerhalb kürzester Zeit (55.,62.) den Ball zweimal nur wenige Zentimeter am Tor vorbei.

Das Spiel wogte hin und her. Nachdem Lucien Favre seinen treffsichersten Stürmer Marko Pantelic wegen einer Verletzung vom Platz nehmen musste, schienen die Herthaner im Nachteil. In der 70. Minute gelang somit etwas überraschend seinem Sturmpartner Voronin nach Zuspiel von Nicu der entscheidende Siegtreffer. Aus 13 Metern ließ der freistehende Ukrainer Torwart Daniel Haas keine Chance. Danach versagten Voronin und dem eingewechselten Domovchiyski bei zwei Großchancen zwei Mal die Nerven.

Der Auftritt des Ragnick-Teams in Berlin hat Hertha nicht nur ein gut gefülltes Stadion beschert, sondern nun auch noch als Hoffenheim-Bezwinger bundesweite Aufmerksamkeit eingebracht. Die Badener wurden vom Tabellenthron gestürzt. Die eigentliche Überraschung ist nicht der Hertha-Sieg, sondern die Tatsache, dass dieser als Überraschung gewertet werden kann. Fehlt nur noch, dass in Fanshops bald T-Shirts mit dem Aufdruck Hoffenheim-Besieger feilgeboten werden. JOHANNES KOPP