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Archiv-Artikel

Es muss kein Kaviar sein

Immer noch süchtig nach Platten aus Finnland, wo sie erstmals mit eigenen Tracks Furore machte: Techno DJ Miss Kittin hat noch Termine frei und gastiert heute Abend im Click

von JULIAN WEBER

„Liebes Tagebuch, es war das schönste Weihnachten, ever. Ich lag den ganzen Tag mit einem Freund im Bett. Wir schlürften Champagner und glotzten endlos Folgen von Spinal Tap. Er sagte „Punk“, ich schrie „Jet-Set-Punk“.

Ist noch nicht lange her, da hatte Miss Kittin keine Zeit fürs Tagebuchschreiben. Da war sie Frau an der Seite des französischen Produzenten The Hacker. Oder Gastsängerin von Goldenboy über Sven Väth, bis zu Felix da Housecat. Da trug sie im Club ein Krankenschwestern-Kostüm und tourte ständig mit ihren DJ-Taschen um die Welt. Eher am Rande der großen Aufmerksamkeit.

Aber jetzt lebt die Französin Miss Kittin in Berlin. Sie ist Popstar geworden. Ein Popstar, der sich seine Arroganz hart erarbeitet hat. Bald erscheint ihr neues Album. Und nicht nur Click-Mitbetreiber Henning Heuer verspricht sich von ihr, dass sein Laden heute Abend explodiert. „Zur Hölle, ich bin keine Diva. Bitteschön, ich bin DJ, das entspricht meiner Natur, da sind meine Wurzeln, da liegt die Wahrheit.“

Die Wahrheit liegt auf dem Plattenteller. Und wenn Miss Kittin heute Abend Hof hält, dann kommt eine voll ausgebildete Charakterdarstellerin nach Hamburg, eine der konsequentesten DJs der letzten Jahre, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hat.

In Grenoble aufgewachsen, hat sie schon als Kind Tapes aus dem Radio aufgenommen. Nach dem „Bac“ – dem Abitur – ist sie nach Genf gezogen, besuchte wie jeder anständige Jet-Set-Punk die Kunsthochschule und begann mit einem Plattenspieler aufzulegen. In ihren DJ-Sets verbindet sie heute die schlanke Eleganz von Minimal House mit der arroganten Kühle von New Wave und dem Knochenbrecher-Charme von Elektro. Sehr straight ist das, und alles an der Musik ist echt künstlich und mit knapp über dem emotionalen Gefrierpunkt perfekt temperiert. Wenn sie die Headsets überstreift, um zu singen, kommt die gewiefte Chanteuse zum Vorschein, die die Tricks ihrer VorgängerInnen blind beherrscht.

Miss Kittin singt gerne augenzwinkernd über Kokain und Kaviar. So ist eine ihrer Routinen der perfekt gemimte Party-Small-Talk-Sprechgesang. „Wer ist gestorben, Frank Sinatra? Ha ha ha!“ Wie ein Zombiemädchen, das die Leute-Kolumnen aus den Boulevardblättern mit Grabesstimme vorträgt. „Ich bin Glanz und Glamour, ein Goldengirl, das gern mit dem Computer hackt“, beschreibt sie sich auf ihrer Mix-CD einleitend selbst. Den Rest übernimmt die Musik: Die geneigte, stetig steigende Fangemeinde bleibt geteert und gefedert zurück.

Zum Starrummel pflegt Miss Kittin aber allgemein eine ambivalente Beziehung. Sie sucht die Abgründe nach Wiederverwertbarem ab. „Liebes Tagebuch, ich versuche mich jetzt erstmal an die Routine des Aufnahmestudios zu gewöhnen. Das fehlt mir schwer. Bei einem Wutanfall habe ich Equipment zerstört, einige teure Effektgeräte sind dabei kaputtgegangen. Das zahlt die Plattenfirma.“

Mit ihren eigenen Tracks ist Miss Kittin zuerst – ausgerechnet – in Finnland durchgestartet. Vielleicht liegt es am Perma-Frost-Klima, das auch zu Miss Kittin passt. Jedenfalls wurde sie von Leuten wie Pan Sonic schon zu Anfang ihrer Karriere gefördert, und in jedem ihrer DJ-Sets finden sich noch heute finnische Platten. „Ich bin besonders süchtig danach“, sagt sie. „Liebes Tagebuch, ich fand eine Benachrichtigung vom Finanzamt im Briefkasten. Sie verdächtigen mich, eine Nutte zu sein. Na ja, ich habe schon oft gedacht, wie das wäre, wenn ich, statt mit Platten mit lauter Sextoys in den DJ-Taschen auf dem Flughafen durch die Kontrolle gehen würde.“

Sonnabend, 23 Uhr, Click (am Nobistor)