Schröder stoppt Ulla Schmidts Pflegereform

Anders als von der Gesundheitsministerin versprochen, verschiebt die SPD das Großprojekt in die Zeit nach der Wahl

BERLIN taz ■ Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat beschlossen, dass es in diesem Jahr doch keine Pflegereform geben soll. Damit kippt Schröder den Plan der Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD), die bereits im Oktober erste Eckpunkte zu einer Reform der Pflegeversicherung vorgestellt hatte. Geredet wurde bislang von einem Gesetzentwurf im Januar 2004.

Nun wird voraussichtlich bis zur Bundestagswahl 2006 nichts passieren. Lediglich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach ab 2005 Eltern in der Pflegeversicherung besser gestellt werden müssen als Kinderlose, wird in einer Schrumpfform umgesetzt. Schröder hatte am Dienstag in der SPD-Fraktionssitzung erklärt, eine weitere Debatte über Belastungen sei schlicht nicht erwünscht. Der Fraktionsgeschäftsführer der SPD, Wilhelm Schmidt, erläuterte gestern, die Fraktion habe Schröders Position unterstützt. Die SPD-Spitze stimme darin überein, dass auf die Reformbeschlüsse nun eine Phase der Umsetzung und Vermittlung folgen müsse. „Wer bei den Umfragen bei 24 Prozent liegt, hat den Menschen eine Menge zugemutet.“

Die SPD-Pflegeexpertin Hilde Mattheis erklärte der taz, „vor allem die Rentnerinnen und Rentner würden durch die Eckpunkte zur Pflege zu stark belastet“. Sie begreife den Aufschub nun als „Chance, Alternativen zu diskutieren“, die sie jedoch nicht nannte. Als Zeitrahmen nannte sie die Jahre bis 2007. Schmidts Sprecherin Dagmar Reitenbach sagte, „dieses Jahr machen wir Gesundheit, Rente, und das Urteil“ – mehr nicht. Die grüne Pflegepolitikerin Petra Selg sagte dagegen zur taz: „Ich fordere, dass wir die Probleme in der Pflege in dieser Legislatur lösen.“ Alles, was die Pflegereformer verlangten, sei dringend: Geistig Verwirrte müssten Leistungen erhalten, die Pflegesätze müssten umgebaut und an steigende Lohnkosten angepasst werden. Sonst würden nur die Sozialhilfeträger stärker belastet, erklärte Selg. Die Regierung dürfe sich „nicht immer von den Medien treiben lassen. Die Menschen brauchen Planungssicherheit, auch wenn das für sie zusätzliche Belastungen bedeutet“.

Was die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils angeht, so ist nach Meinung der Fraktionsspitze der von Schmidt geplante Aufschlag von 2,50 Euro auf die Beiträge aller, die nicht oder nicht mehr erziehen, nicht vermittelbar. Die einzige Alternative dazu ist freilich ein Griff in die Reserven der Pflegeversicherung, die schon seit 1999 dramatisch schrumpfen.

Der Chef der AOK Baden-Württemberg, Roland Sing, sagte gestern zur taz, vor einer Pflegereform müssten erst „Grundfragen“ geklärt werden, etwa „wollen wir eine Bürgerversicherung?“. Deshalb sei eine „ausführlichere Debatte um die Zukunft der Pflege“ nur wünschenswert. ULRIKE WINKELMANN

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