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Archiv-Artikel

Irakischer Exarmeechef in Wartestellung

Nisar al-Chasradschi, möglicher Nachfolger von Saddam Hussein, ist aus dem dänischen Hausarrest entwischt

Nisar al-Chasradschi, auf der Liste der USA für die Nachfolge Saddam Husseins angeblich ganz weit oben, ist seit Montag aus dem Hausarrest verschwunden, unter den Dänemarks Justiz ihn vor vier Monaten gestellt hatte. Er ist jetzt weltweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Doch der irakische Oppositionspolitiker Kanan Makija glaubt, dass man ihn nur an einem Ort suchen muss: in Saudi-Arabien. Auch die Frage, wie er trotz eingezogenem Reisepass Dänemark verlassen konnte, ist für Makija kein Rätsel: „Das war Saudi-Arabien, vermutlich unter Mithilfe der CIA. Die Saudis wollen ihn als Saddam-Nachfolger, weil sie einen demokratischen Irak fürchten.“ Dass al-Chasradschi dafür der Richtige wäre, meint auch Imdat Yilmaz, Repräsentant von Fey-Kurd, einer Dachorganisation kurdischer Gruppen in Dänemark: „Dann würde ein Verbrecher einen anderen ersetzen.“ Als „Giftgasmörder“ gilt der ehemalige Chef des irakischen Heeres, da er die Truppen geführt haben soll, die 1988 bei dem Massaker im kurdischen Dorf Halabdscha mindestens 5.000 KurdInnen getötet haben. Er hatte 1999 in Dänemark Asyl beantragt. Die dänische Justiz ermittelte wegen des Verdachts auf „Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstoß gegen die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg“ gegen ihn. Dass die den USA in Sachen Irak eng verbundene Regierung in Kopenhagen bei al-Chasradschis Flucht nicht ihre Hand mit im Spiel hatte, bezweifelt Søren Søndergaard von der oppositionellen rot-grünen Einheitsliste: „Entweder ist der Verfassungsschutz unfähig oder man hat mit ausländischen Kontakten zusammengearbeitet, um den Mann außer Landes zu bringen und so einen Prozess zu sabotieren.“

Keinen Hehl hatte al-Chasradschi aus seiner Absicht gemacht, den Hausarrest zu verlassen: „Ich gehöre in den Irak, um das Volk anzuführen, damit es seine Waffen gegen Saddam Hussein richtet“, erklärte er kürzlich. Der jetzt 64-Jährige hatte sich für Saddam durch seinen Einsatz im irakisch-iranischen Krieg als Armeechef qualifiziert. Nach eigenen Aussagen fiel er dann in Ungnade und musste nach Jordanien fliehen, weil er vor dem Angriff auf Kuwait gewarnt hatte.

Nisar al-Chasradschi ist der bisher ranghöchste Militär, der aus dem Irak geflohen ist. Nach seiner Flucht versuchte ihn die CIA angeblich zum Führer einer Guerillaeinheit zu machen, die von Jordanien in den Irak einsickern sollte. Die Hoffnung: Ein so ranghoher Überläufer werde Soldaten und Offiziere zu massenhafter Desertion bewegen können. Die Verantwortung für das Halabdscha-Massaker bestreitet al-Chasradschi: Bagdad versuche ihn so zu diskreditieren.

Kurdische und Menschenrechtsorganisationen sind sich aber seiner Schuld sicher. Er habe in seiner Funktion als Heereschef die „Anfal“-Operation zwischen dem 23. Februar und dem 6. September 1988 angeführt, während der zahllose Verbrechen an kurdischen Zivilisten begangen worden sind und der zehntausende zum Opfer fielen. Die USA sahen darin offenbar kein Hindernis für eine künftige führende politische oder militärische Rolle. „Es ist Sache der irakischen Opposition, zu bestimmen, mit wem sie zusammenarbeiten will. Davon lassen wir uns leiten“, lautete Ende letzten Jahres die Stellungnahme der US-Botschaft in Kopenhagen.

REINHARD WOLFF