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Archiv-Artikel

Beim Barden des Propheten

Bagdad ist weit: Bei seinem Konzert in Berlin ließ der ägyptische Popsänger Mohammed Mounir, zu Hause vor allem bei säkularen Studenten beliebt, für einen Moment den Krieg im Irak vergessen

von DANIEL BAX

„Es sind traurige Tage für die gesamte Menschheit“, verkündete Mohammed Mounir auf Arabisch, kaum hatte sein Konzert begonnen. „Aber wir sind die Mehrheit. Wir sind diejenigen, die Frieden, Gerechtigkeit und die Musik lieben.“ Eine Dolmetscherin, die am Rand der Bühne ans Mikrofon trat, übersetzte seine Ansage für die deutschen Zuhörer. Diese stellten schließlich die Mehrheit des Publikums, das zum ersten Konzert des Kulturfestivals disORIENTation ins Berliner Haus der Kulturen der Welt gepilgert war, um eine der bekanntesten Popstimmen Ägyptens kennen zu lernen.

Damit war der nachdenkliche Teil des Abends aber auch schon abgehakt. Als Eröffnungsstück hatte sich Mounir die Ballade „Maddad“ ausgesucht. Im Stil einer Sufi-Weise gehalten, mahnt der Song, den Mounir kurz nach dem 11. September zu Papier brachte, dass alle Weltreligionen im Kern den Frieden predigten. Mit seinem bewussten Rückgriff auf ein religiöses Vokabular gebärdete sich Mohammed Mounir damit ein wenig als Barde des Propheten: eine ungewohnte Rolle für den Sänger, der in Ägypten vor allem unter säkularen Studenten beliebt ist.

Zu Hause gilt Mohammed Mounir als thinking man’s popstar, weil er nicht bloß die üblichen Liebesschnulzen singt, sondern auch Gesellschaftskritik übt, politische Themen aufgreift oder die Probleme der ägyptischen Jugend. Eine Art orientalischer Bob Geldof also, nur mit einer weitaus ansehnlicheren Stimme gesegnet. Anders als zur Musik anderer singender Intellektuellen lässt sich zu seiner Musik auch prima tanzen: Seine Songs werden in Ägypten auch gern bei Hochzeiten eingesetzt oder zu anderen Feiern.

Von seiner tanzbaren Seite zeigte sich Mohammed Mounir auch in Berlin. Gleich nach dem ersten Stück wurde der Rhythmus schneller und schier unwiderstehlich. Und schon in diesem Moment hielt es den Ersten nicht mehr auf seinem Platz: Ein korpulenter Mann in der ersten Reihe stand auf, riss seine Arme ekstatisch in die Höhe und begann, ausgelassen seine Hüften zu schwingen wie eine professionelle Bauchtänzerin. Den entsprechenden Bauch dazu besaß er zweifellos, und bald schon hatte er dem Star auf der Bühne die Show gestohlen.

Es gehört schon ein gewisses Maß an Selbstverliebtheit dazu, sich derart ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu schieben. Doch daran schien es den wenigsten zu mangeln. Erst war es nur ein weiteres Pärchen, das die Blicke auf sich zog. Schon bald aber schieden sich die richtigen Fans im Publikum von den bloßen Zuhörern, die auf ihren Sitzen verharrten, und an den Rändern des Saals bildeten sich kleine Partyecken, die immer weiter anwuchsen.

Von dorther kamen auch immer mehr Zwischenrufe, meist Forderungen nach bestimmten Titeln: auch das ein Hinweis auch auf ein etwas anders gelagertes Musikverständnis: In Ägypten werden Musiker eben meist vor allem als Dienstleister geschätzt, als Entertainer.

Dieser Anforderung kamen Mohammed Mounir und seine zwölf Musiker pflichtbewusst nach und betätigten sich als professionelle Einheizer. In Mounirs Band agieren E-Gitarre und arabische Laute, Darbuka und Schlagzeug sowie Trompete und Ney-Flöte gleichberechtigt und in friedlicher Koexistenz – ein postmodernes Weltmusikensemble. Ein wenig altmodisch mutete die Besetzung dennoch an: Es gibt bei Mounir keine elektronischen Beats, keine DJs, die im Hintergrund ihre Platten scratchen, und keine modischen Rap-Einlagen zu hören.

Stattdessen ist bei Mounir noch alles handgemacht. Die bratzigen Funkriffs des Gitarristen entsprechen dem Stand der Achtzigerjahre, und auch die jazzigen Bläser-Soli oder die verspielten Keyboard-Intros scheinen noch aus der Zeit zu stammen, in der die Karriere des 49-Jährigen ihren Anfang nahm.

So sind es paradoxerweise gerade die Elemente der westlichen Musik, die Mohammed Mounirs Stil ausmachen, die heute etwas überholt wirken. Die orientalischen Anteile dagegen, sie wirken zeitlos aktuell: Denn die traditionellen Rhythmen aus Ägyptens nubischem Süden, auf denen die meisten Songs von Mohammed Mounir basieren, sie werden wohl niemals aus der Mode kommen. Selbst wenn er sie mit Poprefrains oder Calypsomelodien kombiniert, bilden sie doch die unverzichtbare Basis seiner Musik.

Sie waren es auch, die dafür sorgten, dass im bestuhlten Saal bald eine Atmosphäre herrschte wie bei einer orientalischen Hochzeit: Kinder schwirrten durch den Saal, der Lautstärkepegel stieg, überall tanzten kleine Grüppchen arabischer Anzugträger und Kopftuchstudentinnen, ägyptischer Akademiker und blonder Bauchtanzexpertinnen, und zum Schluss war der ganze Saal auf den Beinen.

Für diesen Moment war jede Erinnerung an den Krieg vergessen. Bagdad ist eben doch weit.