Fernweh nach Sombreros

Die Produktivität von Heimatlosigkeit, der Reimport deutscher Volksmusik und die Subversion des touristischen Blicks: Calexico aus Arizona gaben in der Columbiahalle ein Konzert für halb geschlossene Lider. Am Ende drehten sie aber doch noch auf und ließen ihre Fans begeistert mit den Zungen schnalzen

von SUSANNE MESSMER

Am Anfang geht es kammermusikalisch zu. Zwar tummeln sich neben Joey Burns und John Convertino, dem eigentlichen Duo Calexico, noch vier weitere Männer auf der Bühne, aber irgendwie sehnt man sich vom ersten Ton an nach der Bestuhlung oder noch besser: nach einem kleinen, verrauchten Club mit jeder Menge Plüschsofas. Was da auf der Bühne passiert, ist rein optisch nicht besonders aufregend. Das Bühnenbild zeigt die wohlbekannten Zeichnungen Victor Gastelums auf den Covern der Platten von Calexico, die von mexikanischer Folk Art inspiriert sind. Und auch das viele wärmende rote Licht versetzt eher in somnabules Dämmern als in echte Euphorie.

Einer versucht sich am Hackbrett, einer bedient den stimmungsvollen Kontrabass, sogar ein paar Violinisten tauchen auf, Joey Burns nimmt auch mal die Quetschkommode in die Hand, John Convertino wechselt ab und an zum Xylophon – die heiß ersehnten mexikanischen Bläser in landestypischer Kluft, die noch vor drei Jahren den Jahrmarkt ausriefen und damit für große Begeisterungsstürme sorgten, fehlen diesmal aber leider. Diese Musiker in ihren Jeans und Holzfällerhemden, ganz posenfrei, verhalten und versenkt in ihre melancholische Musik zum Zuhören, wirken sympathisch, so, dass man sie auf ein Bier einladen möchte, aber auch so, dass es einem nicht gerade vor lauter Pop und Sexappeal den Atem verschlagen würde. Ein Konzert für halb geschlossene Lider halt.

Es scheint, dass sich auf Calexico aus Tucson, Arizona, in Deutschland von Platte zu Platte, von Konzert zu Konzert mehr Menschen einigen könnten – auf deren raffiniertes Crossover aus Folk, Post Rock, Westcoast, Jazz, Spaghettiwestern-Soundtrack und viel, viel Texmex. Enthusiasmisierte Musikjournalisten werden nicht müde, in die begrenzte Trickkiste ihres Wüstenvokabulars zu greifen: Von Dornbüschen und Sand, Wind und Weite ist wieder und wieder die Rede, von Kakteen und Bohnen mit Speck. Ein Grund mehr, sich vor der eigenen Sehnsucht nach den Sombreros, sich vor all den Calexico-Fans, die die Columbiahalle an diesem Abend zur überdimensionalen Sardinenbüchse machen, ein wenig zu fürchten: Ist es der touristische Blick, der einen fast, als die Band wie gehabt im zweiten Drittel des Konzerts doch noch ordentlich aufdreht, ausgelassen mit den Zungen schnalzen und jauchzen, das Flamencoklatschen machen und sogar hin und wieder rhythmisch trampeln lässt?

Erstaunlich, dass Calexico in Amerika viel weniger erfolgreich sind als hierzulande. Und tatsächlich fragt man sich einmal wieder, als es plötzlich nicht mehr nur nach Kuba oder Kolumbien klingt, sondern auch bierselig nach stampfender Polka, nach Walzer und der schönen Inbrunst des Jodelns: Was für ein schöner Reimport? Warum gibt es eigentlich in Deutschland immer noch keine richtige, anhörbare, keine anarchische, coole Volksmusik?

Die Reflektiertheit von Calexico, hier Humor, bewahrt am Ende das Konzert doch noch vorm Umkippen. Joey Burns und John Convertino wissen ganz genau, was sie tun und wie die falschen Hälse aussehen, in die ihre Musik geraten kann. Indem sie Klischees nicht umständlich vermeiden, sondern als Knetmasse und erbarmungslosen Spiegel nutzen, werden sie plötzlich ironisch und machen das Künstliche authentischer, als das Authentische je sein könnte.

Dazu passt auch, dass der obligatorische Hinweis auf den Krieg bei Calexico angenehm dezent ausfällt. Ihre Musik ist Statement genug: Es geht um Grenzüberschreitungen, die Produktivität von Heimatlosigkeit und der Pluralisierung von Identität, um Strategien der Maskerade, Travestie und Wiederaneignung – aber auch ganz handfest um die vielen Toten an der Grenze zwischen Mexiko und Amerika, die in den Medien meistens verschwiegen werden.

Als dann ganz am Ende plötzlich auch noch Vicki Peterson von den Bangles auf die Bühne kommt – bis eben haben die Bangles im benachbarten Columbia-Fritz gespielt – ist man schließlich endgültig versöhnt. Wenn eine von den Bangles mitträllert, dann kann man auch selbst ein bisschen mitträllern.