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Archiv-Artikel

Das Feng-Shui des Alltags

Bis morgen muss der ganze Rotz verschwunden sein: Wie der moderne Mensch sein Zuhause richtig ausmistet und auch in Zukunft gerümpelfrei bleibt. Wider den Reformstau in den eigenen Wänden

von Harald Peters

Weil zum Ausgehen gerade das Geld fehlt und es draußen für das Draußensein zu unwirtlich ist, bleibt der moderne Mensch nun wieder öfter Zuhause. Weil der moderne Mensch aber sein Zuhause im Zuge einer recht lang andauernden Ausgehphase sowie anderer Außenaufenthalte sehr vernachlässigen musste, steht er nun in Sachen einer angemessen interessanten Wohnraumgestaltung vor einem dringenden Problem.

Aus einer alten Gewohnheit kommt ihm zunächst der Möbelkauf in den Sinn, was sich aber aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Lage als überaus unzeitgemäß erweist. Auch das Rücken der vorhandenen Möbel, gemeinhin als Möbelrücken bekannt, schließt sich insofern aus, weil es das eigentliche Problem nicht wirklich behebt, sondern bestenfalls an einen anderen Ort verschiebt. Selbst dem vermeintlichen Gemütlichkeitstrend kann der moderne Mensch ohne größeres Zögern widerstehen, weil er, modern wie er ist, weiß, dass die neue Gemütlichkeit zu einem Trend aus längst vergangenen Tagen zählt.

Modern sind hingegen klare Raumaufteilung, Übersichtlichkeit und Reduktion. Ein vergleichbares Inneneinrichtungsprinzip wird zwar eigentlich schon seit mehreren Jahren praktiziert und geschätzt, doch ruht jenes eher auf einem technokratischen Prinzip, während dieses der Sorge um den idealen Energiestromfluss Rechnung trägt und sich daher auch das Feng-Shui des Alltags nennt.

Doch das Feng-Shui des Alltags, wie es die Feng-Shui-Expertin Karen Kingston in ihrem interessanten Buch mit dem sehr un-Feng-Shui-haft üppigen Titel „Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags. Richtig ausmisten. Gerümpelfrei bleiben“ (Rowohlt 2003, 9,90 Euro) erklärt, ist nicht nur ein Inneneinrichtungsratgeber, sondern eine Lebenshilfe zum unbeschwerten Glück.

In wenigen knappen, recht verständlichen Sätzen führt sie darin aus, dass der Weg zu einem freudvollen Dasein nur an einem großen Müllcontainer vorbeiführt, in den man alles reinwirft, was man hat. Nichts hält ihren strengen Blicken stand. Krempel? Keine Frage, weg damit! Alte Bücher? Bücher sollten als das eigene Spiegelbild betrachtet werden, weshalb alte Bücher ein veraltetes Persönlichkeitsbild zeigen. Sie bremsen folglich die Entwicklung und gehören demnach auf dem kürzesten Weg in den Müll. Erinnerungsfotos? Erstens guckt man sie ohnehin nie an, zweitens sind sie kitschiger Ballast. Drittens verdienen es die Dinge, an die man sich nicht auch ohne Hilfestellung erinnert, ohnehin nicht, dass man sich an sie erinnert!

Auch alte Klamotten, Zeitschriften, Briefe, Kassetten, Videos, Erbstücke, Souvenirs, Aufklebersammlungen, Briefmarkensammlungen, Bierdeckelsammlungen und möglicherweise sogar Plattensammlungen – all das muss rigoros weg, damit der moderne Mensch wieder frei atmen kann und Raum hat, sich zu entwickeln. Haben in den Achtzigerjahren besorgte Zeitgenossen immer wieder darauf hingewiesen, dass man schrecklicherweise in einer so genannten Wegwerfgesellschaft lebe, so weiß man spätestens seit Karen Kingston, dass längst nicht genug weggeworfen wird. Noch wuchert die Stagnation ungehindert in Regalen, sammelt sich zwischen vergilbten Buchseiten und verbreitet sich wie ein Geschwür auf dem fruchtbaren Boden von Gerümpelkisten aus.

So wie die Stagnation von dort aus zunächst nur auf die unmittelbare Umgebung übergreift, so hat sie bald auch jeden und jede erfasst, was gesamtgesellschaftlich betrachtet auch den ebenso rätselhaften wie hartnäckigen Reformstau erklärt, dem Müntes Kanzler zu Leibe rücken will.