: BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNERTrinken verboten!
Leerstelle (2): Sie ist die Signatur vergessener Kommunikationsformen, die an jeder Straßenecke üblich waren. Die Pumpe oder: Warum es den Neuköllnern eigentlich noch immer gut geht
An dieser Stelle beschäftigen sich Franziska Hauser (Fotos) und Thomas Martin (Text) vierzehntäglich mit den Nebenstellen des Lebens. Das sind abseitige Orte in Berlin, an die man im Alltag nicht oder selten hinguckt.
Sie gehört zum Bestand der so genannten Straßenmöbel. Wie sehr der Bestand unsrer großstädtischen Stube der Nutzbarkeit entfremdet sein kann, zeigt ihr Beispiel. Im Zeitalter der Verindividualisierung der Massen steht sie, die Pumpe, für den paradoxen Begriff. Sie ist die Signatur vergessener Kommunikationsformen, die an jeder Straßenecke üblich waren. Vergessen, weil nicht mehr gebraucht, nur der eventuelle Notfall und gusseiserne Paragrafen garantieren ihr Dasein. Der umstrittene Charakter Berlins hat seinen Anteil daran: Die Mauer könnte wieder kommen, Spaltung, schlimme Seuchen, Trockenheit und Bürgerkrieg. Die Pumpe, ursprünglich natürlich Brunnen, ist das älteste Straßenmöbel der Stadt.
Noch im Jungberlin des 14. Jahrhunderts wurden Vorschriften zu Nutzung und Pflege der Pumpe festgesetzt. Was Quelle war, wurde zu Ziehbrunnen ummauert, was als Wasserlauf kam, wurde in Becken gestaut, floss weiter fort und schob Müll und Fäkalien ab in die Spree. Die Wasserstellen waren die Herzklappen der Stadt. Über die Brunnen wurden hölzerne Obelisken mit Zugwerk dran und Ausflussrohr gezimmert. 1660 hatte Berlin innerhalb der Stadtmauer 51 solcher Modelle. Wer seine Pumpe nicht instand hielt, hatte mit 10 Talern (ca. 150 Euro) Bußgeld zu rechnen. Mit Borsig kam die Eisenpumpe, ab 1860 überall zu finden, Tankstelle des kleinsten Glücks und kostenfreier Lieferant des ersten Grundlebensmittels. Die kurze Hohezeit der Pumpe brach an. In Nebenstraßen, dicht besiedelten Gebieten, den Höfen der Komplexbauten waren sie die Vorboten der Fließwasserversorgung. Schwengelbewehrte Zinkgussgehäuse in preußisch strengem Kleid zunächst, dem Format nach bald zur Litfaßsäule strebend. Seither regiert technischer Standard mit Druckrohr, Druck- bzw. Saugventil, Kolben und Zylinder. (Legen Sie ein Ohr an, dann hören Sie es gluckern, flüstern, pfeifen, zutschen.) Mit zunehmender Bevölkerung nahm die Grundwasserqualität ab, die Brunnen wurden tiefer, 30 Meter unter null wurde normal. Öfter als die Pumpe selber ist ihr Zubehör zu finden: der Tränkstein, zur Labung durstiger Gäule in den Bordstein eingelassen, samt Abflussrinne, zum Gully hin, der in die Abwasserkanäle führte. Noch vor 1900 trat die mächtige Lauchhammer-Pumpe in der Gestalt auf, die wir heute noch kennen: Drachen-, Löwen- oder Schlangenkopf als Tülle, reich wie Festleuchter verziert, wilhelminisch hybrid, nicht zum Spielen gemacht. Daran hielten sich die Kinder nicht. Die sich zu Trauben barfuß um den Wasserstrahl drängenden gehören zum populären Ansichtskartenmotiv der Jahrhundertwende. Ins Repertoire der Wasserspender reihten sich dann noch die wichtigen roten Hydranten und die heute so mangelnden Trinkbrunnen in Berliner Blau.
Trinken, so viel weiß ich noch, war in der Kinderzeit streng verboten. Man könne sterben davon, mindestens Magenauspumpen riskieren. Oder, ganz schlimm, zum Tiger verhext werden. Spiel mit Gefahr war garantiert, wenn Tretzsch, Kutschabsky und ich, drei Sechsjährige, um den Pumpkasten lungerten. Der Ostberliner Typ unterschied sich in den 70ern vom Westberliner durch den ausgemacht gradlinigen Bau: kantig, wuchtig, breit. Zu bedienen nur unter Aufwendung aller Kraft, die dem Kind, wenn möglich zweien, zur Verfügung steht. Zwei, die am Schwengel hingen, und einer, der tat, als ob er trank. Die Ostpumpe konnte gut als Panzersperre herhalten, dafür hatte die Westpumpe mehr Schwung. Und in beiden Teilen der Stadt musste bis März 1990 die Trinkwasserversorgung für den Kriegs- und Notstandsfall im Verhältnis 1 Pumpe = 1.500 Einwohner gewährleistet sein. Über die Verbreitung der Pumpen gibt die Neuköllner Handpumpenstatistik beredte Auskunft. Von 217 Notwasserbrunnen, wie sie der tiefer liegenden Funktion nach benannt sind, existieren 4 historische, die 213 übrigen sind Baujahr 1964 bis 1991. 210 geben noch Wasser. Macht auf je 1.500 die Tränkung 315.000 Neuköllner Kehlen möglich, 8.000 mehr, als dort leben. Neukölln geht es gut.
Die hier vorgestellte Pumpe ist ihrer eigenwilligen Form und Farbgebung nach ein Sonderfall. Sie ist die weiße unter allen grauen, grünen. Standort Schlossgarten, Pankow. Mehrfach von verschiedenen Handwerkergenerationen ausgebessert übt sie auf die nachwachsende Bevölkerung erhebliche Anziehungskraft aus. Der am Pumpenende hantierende kleinwüchsige Betreiber veranschaulicht das als lebende Fortsetzung des schönen Schwengels. Die Pumpe ist Kinderspielzeug geblieben, woran sich die später ausgewachsenen womöglich stärker erinnern als an die possierlichen Artverwandten mit integriertem Wasserrad auf dem Spielplatz.
THOMAS MARTIN