Einfach gute Geschichten

Vor 50 Jahren wurde der Hamburger Carlsen-Kinderbuchverlag gegründet. Geschäftsführer Klaus Humann äußert sich über Auswahlkriterien, Lesegewohnheiten und Backlists

von PETRA SCHELLEN

„Ich halte nichts davon, sich herunterzubeugen. Kindern Geschichten in bewusst kurzen Sätzen zu erzählen, weil man meint, Kinderliteratur müsste jugendgerecht sein.“ Was Klaus Humann, Geschäftsführer des vor 50 Jahren – am 25. April 1953 – gegründeten Hamburger Carlsen-Verlags sagt, wirft ein interessantes Licht auf Jugendsprech-Bemühungen aller Branchen.

Aber was ist „jugendgerecht“? Der Carlsen-Verlag folgt stets demselben Kriterium: „Es müssen gute Geschichten sein, die aktuelle Themen berühren können, aber nicht gezielt deswegen geschrieben wurden“, sagt Humann und meint jene Problem-Serien, die „wohl eher Ideen der Pädagogen spiegeln“. Ein recht deutsches Phänomen außerdem, das etwa in Dänemark, dem Ursprungsland des Verlags, weniger verbreitet ist: Aus einer dänischen Agentur für Comic-Strips ging der Verlag hervor: „Da der dänische Markt nicht genug hergab, hat der Verleger damals Dependancen in Schweden und Deutschland gegründet.“

Beginn des Carlsen-Programms waren die Petzi-Geschichten; 1954 wurden die ersten Pixi-Bücher ediert. „Die Buchhändler haben natürlich die Nase gerümpft“, sagt Humann, der seit 1997 verlegerischer Geschäftsführer ist. „Aber letztlich war dies ein innovatives Element, das bis heute Teil unserer Strategie ist: 1991 haben wir als erste japanische Mangas ediert.“ Bedenken wegen der Comics – sie erwirtschaften derzeit die größten Zuwächse – hegt er nicht: „Hauptsache, die Jugendlichen lesen überhaupt. Und Mangas ziehen Zehn-, Zwölfjährige an, die sonst nie einen Buchladen betreten hätten.“ Auch die These, dass sich Lesegewohnheiten durch die Medien verändert hätten, teilt er nicht. „90 Prozent der Kinder, die lesen, nutzen Computer und Fernseher – Medien, die eher mit dem Sachbuch konkurrieren.“

Aber das beunruhigt Humann wenig, zählt das Kindersachbuch ohnehin nicht zu den profiliertesten Sparten des Carlsen-Verlags, der halbjährlich fünf Bilderbücher, fünf Kinder- und fünf Jugendbücher ediert. „Im Kinderbuchbereich gibt es außerdem aktivere Backlists als bei Erwachsenen: Manche Autoren sind seit 20 Jahren Renner – was auch daran liegen mag, dass Eltern Bücher verschenken, die sie selbst als Kinder gelesen haben.“

Unerklärlich sei allerdings, dass Eltern für Kinder bis zu sieben Jahren relativ viel Geld für Bücher ausgäben, für ältere aber nicht. „Das wirkt sich natürlich auf die Preise aus: Jugendbücher können nie so teuer sein wie Erwachsenenliteratur, was sich auch in Autorenhonoraren niederschlägt.“ Vielleicht ein Grund für die geringe Anerkennung deutscher Kinderbuchautoren: „In Skandinavien, den Niederlanden, Großbritannien und den USA ist das anders. Aber in Deutschland meint man wohl, wer für Kinder schreibe, sei nicht gut genug für Erwachsenenliteratur. Dabei halte ich diese Unterscheidung für fiktiv: Oliver Twist und Huckleberry Finn zum Beispiel sind ursprünglich Erwachsenenbücher.“ Kein Zufall also, dass der Carlsen-Verlag bis in die 80er Jahre hinein die meisten Titel aus Skandinavien bezog; erst seit den 90er Jahren stammt ein Drittel der Produktion aus Deutschland. Weitere bevorzugte Länder: die Niederlande, Großbritannien, die USA.

Und Harry Potter, das Carlsen erst ab Band drei rasant steigende Umsätze bescherte? „Wird von Kindern und Erwachsenen gelesen und hat enorm viele Neuleser gewonnen.“ An den teils dramatischen Release-Aktionen sei der Verlag übrigens nicht beteiligt: „Wir haben lediglich das Plakat entworfen“, sagt Humann. Der Rest des Hypes gehe aufs Konto des Buchhandels.