zwischen den rillen : Was vom Grunge übrig blieb
Zehn Jahre nach dem Versprechen des Riot Girlism: Neue Platten von Courtney Love, Melissa auf der Maur und The Destillers
Courtney Love liegt wie verzaubert im dunklen Märchenwald. Aber die Welt ist hinter ihr her, schwarze Männer mit Kameras und Hunden. Sie läuft davon in ihrem weißen, zerfetzten Hochzeitskleid – raus aus dem Sommernachtstraum, rein in einen Supermarkt der Superlative, in einen amerikanischen Alptraum. Eine Fee mit Kampferfahrung gibt Courtney Love in ihrem aktuellen Videoclip. Unter ihrem Rock zaubert sie lauter kleine Mädchen hervor, noch mehr lustige Prinzessinnen in Tüll. Nur, dass sie plötzlich mit Motorsägen auf die Männer losgehen.
„You owe me one more song so that I can prove to us that we’re so much better than him“, singt Courtney Love voller Inbrunst im Hit zum aktuellen Märchenclip. Ich bin besser als die Jungs: Hybris, Übellaunigkeit, Verschwesterung. Schön, mal wieder so etwas zu hören. Rührung stellt sich ein, Nostalgie. Da ist sie endlich wieder, die Alternative zu fleißigen Popstars wie Madonna und Britney Spears, die vor allem ihre geometrischen, gepanzerten Körper gemeinsam haben. Courtney Love, wir haben lange auf dich gewartet. Endlich bringst du wieder ozeanische Fülle in den Popbetrieb. Endlich erinnert wieder eine an die Riot Girls, an das Versprechen der Neunziger, dass von nun an mehr Frauen die Bühne betreten werden.
Wir wollen nicht so genau hinhören. Wir wollen nicht wissen, dass Courtney Loves neuem Album „America’s Sweetheart“, das erste seit der Auflösung ihrer Band Hole, einem manchmal so vorkommt, als komme es aus einer Zeitmaschine. Denn auch wenn bräsige Gitarren und konventionelle Arrangements den Grunge-Sound der frühen Neunziger aufrufen: Eine wie Courtney Love, die man nur hassen oder lieben kann, die hat gefehlt. Wie sie das Leiden nach außen krempelte, das männliche Begehren vorführte, das war unnachahmlich: Trotz und Ekel, Scham und Anklage, die Löcher in der Seele und im Körper, der Schmutz und der Schleim.
Courtney Love war die Erste, die sich als Vergewaltigungsopfer stilisierte, als „Teenage Whore“ mit zerschlissenem Kleidchen und verschmiertem Make-up, und dann war sie wieder die Erste, die diese Rolle verwarf, um sich als orgiastische Mutter Gottes aufzuspielen. So konsequent wie sie bekannte sich keine zuvor zur Vergangenheit als Stripperin und zur Gegenwart als Fixerin. Indem sie ihren Mann posthum beschimpfte, den kultisch verehrten Kurt Cobain, weil er sich umgebracht hatte, schwang sie sich zur meistgehassten Witwe nach Yoko Ono auf. Und als sie sich schließlich auch noch die Nase reparieren ließ und Hollywood eroberte, da stand fest: Verrat nach Plan heißt das Spiel, das Courtney Love erfunden hat. Mit den Klischees kegeln, bis sie alle abgeräumt sind, polarisieren, je nerviger, desto besser. Es gibt nichts, das ihr das noch nehmen könnte.
Wirklich nichts? Courtney Loves Versprechen ist nicht in Erfüllung gegangen. Die Aufbruchstimmung ist verflogen. Wieder waren es nur Männer, die das aktuelle Revival des Rock in Gang setzten, smarte Jungs wie Julian Casablancas von den Strokes, dem Courtney Love einen ihrer neuen Songs gewidmet hat. Zugegeben, „Give me dick, give me speed, give me white hot hate“: Das sind starke Reime. Manchmal schafft Courtney Love es tatsächlich, die alte Opferrolle gegen die des phallischen Racheengels einzutauschen. Aber die Songs kippen oft: Immer drauf und nach Janis Joplin klingen – damit die aktuellen Schlagzeilen, die Prozesse wegen Drogenmissbrauchs, glaubwürdig durchschimmern. Man kann es nicht einfach wegschieben: Diese Platte gehört zu den schwächsten, die Courtney Love gemacht hat.
Aber vielleicht ist es ja immer noch besser als das, was andere vom Grunge und vom Riot übrig lassen. Nehmen wir zum Beispiel Melissa auf der Maur, die einmal bei Hole Bassistin war und jetzt mit „Auf der Maur“ ein sehr kunstfertiges und völlig blutleeres erstes Soloalbum hervorgebracht hat. Gegen Courtney Love erscheint Melissa auf der Maur wie eine bürgerliche Ziege. Heute sagt die Tochter eines Politikers und einer Musikerin, dass ihre Jahre bei Hole Lehrjahre waren. Bloß nie ins kalte Wasser springen: sehr brav, das. Ihre düster schwingenden Bässe wie im Goth Rock und die mystischen Chöre aus fernen Ländern und Zeiten verwässern selbst die explizitesten Lyrics, Zeilen wie „I need filling, come on, I need it louder than bombs“.
Und die Erbinnen? Kelly Osbourne, Pink: Alle Kunstprodukte, die das Biografische in ihrem Image vermauern wie jeden beliebigen Baustein. Ihr einziger Vorzug ist, dass sie ein bisschen mehr auf den Rippen haben. Trotzdem sind sie nicht halb so schillernd wie Courtney Love. Auch nicht Brody Dalle, die 24-jährige Sängerin von The Distillers. Vom NME wurde sie zur coolsten Frau im Rock ernannt. Und auf der Bühne erregt sie tatsächlich großes Aufsehen. Aber die Musik. Selbstmord erscheint hier als pubertäre Mode, manchmal darf es auch ein wenig obszöner sein, aber vor allem schläfern diese Rhythmen ein, dieses „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Wenn man die Wahl hätte zwischen Brody Dalle, die ihre Songs selbst schreiben soll, und Courtney Love, der es diesmal mit der Musik nicht so wichtig gewesen sein mag: Es wäre nicht schwer, sich zu entscheiden.
SUSANNE MESSMER
Courtney Love: „America’s Sweetheart“ (Virgin/EMI); Melissa auf der Maur: „Auf der Maur“ (Capitol/EMI), The Distillers: „Coral Fang“ (Sire/Warner)