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Archiv-Artikel

Der Premier und das Mädchen

Hat das Verhältnis eines mächtigen Mafioso zu einem jungen Mädchen den serbischen Regierungschef Zoran Djindjić am 12. März vorigen Jahres das Leben gekostet?

Die Mafiabosse blieben die Herren Serbiens – auch nach Diktator Milošević’ Sturz Djindjić war enger mit dem organisierten Verbrechen verstrickt, als man im Westen weiß

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Es klingt nach einem Balkandramolett mit Starbesetzung und einer simplen Geschichte zugleich: In der Hauptrolle ein Boss der Surčin-Mafiabande (Ljubisa Buha), der zwei Frauen liebte. Seine betrogene Ehefrau (Liljana) sinnt auf Rache und läuft zum gegnerischen Clan über, der Buha ermorden soll. Buha muss fliehen und verrät sein Wissen über die Unterwelt der serbischen Justiz. Als der Regierungschef (Zoran Djindjić) das Signal zur Verhaftung der Zemun-Bande gibt, wird er selbst erschossen.

So weit, so unglaublich, „und doch war es genau so“, sagt ein Freund des einst mächtigsten Mafioso in Exjugoslawien, Ljubisa Buha. Velibor Velić (Name geändert; d. Red) kennt ihn seit gemeinsamen Kindertagen. „Es war ein Seitensprung, der Buha zum Verhängnis wurde“, sagt er.

Velić erzählt in einem Ausflugslokal in den Hügeln um Belgrad die Geschichte vom Aufstieg und Fall seines Freundes. Er spricht leise und schaut sich immer wieder zu den Nachbartischen um. Er will nicht, dass man hört, über wen er spricht. „Es gab schon harmlosere Gründe, warum sie jemanden beseitigt haben“, sagt er. „Man spricht den Namen Buha besser gar nicht aus, jedenfalls nicht in Surčin.“

Surčin ist ein kleines Städtchen in der Nähe des Belgrader Flughafens, dem der Mafiaclan von Ljubisa Buha seinen Namen verdankt. Eine belebte Straßenkreuzung, ein paar Geschäfte, vor der Bar „Casino“ beobachten ein paar junge Männer hinter verspiegelten Brillengläsern den Verkehr. „Wir sind ein ganz normales Dorf“, sagt Pfarrer Dragisa Toplović, und es klingt ein wenig trotzig. Nein, die Familie Buha kenne er nicht. Und dann muss der Pfarrer schnell weiter.

Nicht weit hinter der Kirche, zwei Steinwürfe entfernt, in einer kleinen Nebenstraße liegt das vierstöckige „Bussines Centar“ wie ein verwaister Fremdkörper zwischen den geduckten Wohnhäusern. Die Türen sind geschlossen, die Läden verrammelt, nur die Überwachungskameras rund um das Gebäude deuten darauf hin, dass hier einmal jemand um seine Sicherheit besorgt war. Die Zentrale des Surčin-Clans verfügte über modernste Überwachungstechnik. An jeder Ortseinfahrt registrierten Videokameras den Verkehr und lieferten ihre Bilder direkt in die Mafiazentrale.

Von diesem Ort aus sieht man in den Garten einer jungen Frau, von der die Nachbarn sagen, sie lange nicht mehr gesehen zu haben: Tanja Damjanović, heute 29 Jahre alt, war die Geliebte von Buha. Sie war die Tochter seiner Putzfrau. Oft stand Buhas gepanzerter Geländewagen vor Tanjas Haus, und als die schöne Serbin eines Tages schwanger wurde, war die Nachricht davon schneller die zwei Straßenzüge zu Buhas Frau Liljana geflogen, als es dem Mafiaboss lieb sein konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Buha mit Gattin Liljana bereits einen Sohn und eine Tochter. Liljana, eine resolute, scharfzüngige Frau, tobte – und verzieh dem Capo dann doch das uneheliche Kind in der Nachbarschaft.

Aber einmal ist keinmal, und deshalb erwartete die schöne Tanja im Sommer 2002 ein zweites Kind von Buha, dem Mafiaboss. Diesmal beschloss dessen Ehefrau Liljana, sich an ihrem untreuen Mann zu rächen.

Am 9. September jenes Jahres fühlte sich Buha nach dem Abendessen irgendwie unwohl. Die Schmerzen in seinem Magen wurden immer stärker, und als sie kaum noch zu ertragen waren, stieg Buha in seinen gepanzerten Geländewagen und fuhr ins Belgrader Militärhospital. An diese Fahrt erinnern sich noch manche, die an diesem Abend auf den Straßen der serbischen Hauptstadt unterwegs waren. Eher wie eine Rakete sei der Jeep mit den abgedunkelten Scheiben, hupend und mit aufgeblendetem Licht, an ihm vorbeigerast, sagt ein Taxifahrer.

Noch auf dem Weg vom Wagen zur Krankenhauspforte brach Buha bewusstlos zusammen. Die Ärzte fanden in seinem Magen eine Mischung aus Pflanzen- und Rattengift. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Buha war in ein Koma gefallen, aus dem ihn die Ärzte nur mit Mühe wieder zurückholten.

Als Buha zwei Wochen darauf wieder nach Hause kam, war Liljana verschwunden. Heute weiß man, dass sie noch am Abend ihres misslungenen Giftattentats auf ihren Ehemann die 20 Kilometer in den Belgrader Vorort Zemun fuhr. Dort residierte die größten Mafiakonkurrenten ihres Mannes. Den Zemun-Clan befehligten zu diesem Zeitpunkt zwei Vertraute des exjugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević: Dusan Spasojević und Milorad („Legija“) Luković, die an Grausamkeit und Skrupellosigkeit den Männern des Surčin-Clans in nichts nachstanden.

Obzwar im Regierungsviertel Belgrads inzwischen die frühere Opposition die Macht übernommen hatte, waren die Mafiabosse weiterhin die eigentlichen Herren Serbiens. Wer sich ihnen entgegenstellte, verschwand spurlos, wie Ivan Stambolić, einst jugoslawischer Präsident, dessen Leiche man erst vor wenigen Monaten im Norden Serbiens, verscharrt in einer Erdgrube, fand.

Auch Premier Zoran Djindjić hatte sich mit den Unterweltfürsten arrangieren müssen. Schließlich verdankte er seine Macht nicht zuletzt Legija, der unter Milošević die gefürchtete Spezialtruppe der Polizei (JSO) kommandierte. Am Tag vor dem Umsturz, vor dem Ende von Slobodan Milošević, am 4. Oktober 2000, trafen sich Djindjić und Legija und verhandelten über den Putsch. Legija versprach, mit seinen Truppen nicht gegen Djindjić und seine Anhänger vorzugehen. Der Preis für Djindjić war hoch: Nach seiner Machtübernahme war er Legija zu Dank verpflichtet.

Auch als Legija ein Jahr nach dem Umsturz als Chef der Spezialeinheit JOS abtrat und die Zemuner Mafiaorganisation übernahm, ließ Djindjić ihn gewähren. „Djindjić und seine Regierung waren enger mit dem organisierten Verbrechen verknüpft, als man im Westen weiß“, sagt Marko Nicović, Expolizeichef von Belgrad. Ein Vorwurf, den auch Buhas Weggefährte Velibor Velić bestätigt.

Als Mittelsmann zwischen dem Regierungschef und dem Mafiaboss Buha habe Djindjić’ Trauzeuge Dragomir Marković fungiert. Der stammt aus Surčin und betreibt dort heute noch Serbiens größte Fabrik für Futtermittel und mehrere Hühnerfarmen. Marković gilt als einer der reichsten Männer Serbiens. „In seiner Villa mit Pferderanch am Rand von Surčin hat Buha mit der Regierung Geschäfte abgewickelt“, sagt Velibor Velić.

Gute Geschäfte. Denn um seine Einnahmen aus dem Drogenhandel zu waschen, hatte Buha mittlerweile das Straßenbauunternehmen „Difens“ gegründet. Die illegalen Millionen steckte er in neue Teermaschinen und Asphaltmischwerke, die Regierung Djindjić versorgte ihn dann mit Aufträgen zum Bau von Autobahnen und Landstraßen.

Die einträglichen Verbindungen von Buha zur Regierung waren dem konkurrierenden Mafiaclan in Zemun ein Dorn im Auge. Deren Chefs Legija und Spasojević fürchteten um ihren Einfluss und hätten viel gegeben, Buha loszuwerden. In diesem Moment klingelte die betrogene Liljana Buha an deren Haustür und bot beiden ihre Hilfe an bei der Beseitigung ihres Gatten.

Der Showdown begann: Am 21. Dezember 2002 stürmten zwölf maskierte und schwer bewaffnete Männer frühmorgens den Bauhof von Difens. Sie forderten die Arbeiter auf, sich im Büro auf den Boden zu legen. Dann flogen in mehreren Wellen die Maschinenhallen in die Luft. Neue Teermaschinen, ein neues Asphaltmischwerk und anderes Gerät im Wert von mindestens vier Millionen Euro war binnen Sekunden vernichtet. Die Maskierten bedankten sich noch bei den Arbeitern für ihre „Kooperation“, dann brausten sie in Richtung Zemun davon.

Dass dies erst der Anfang war, erkannte Buha ein paar Tage später, als er in seinem Bauhof schon wieder ungebetenen Besuch von einem Rollkommando bekam. Diesmal starb einer seiner Leibwächter im Kugelhagel, er selbst entkam mit einer Kugel im Bein. Spätestens nach diesem zweiten Mordanschlag muss es Buha gedämmert haben, dass seine als vermisst gemeldete Frau ganze Arbeit geleistet hatte.

Der einstmals mächtigste Mafiaboss des Landes versteckte sich wie ein Kaninchen vor seinen Jägern in den Büschen. Anfang vorigen Jahres floh Buha schließlich nach Bulgarien, von dort weiter in die Türkei. Wenige Wochen später entschloss er sich, der serbischen Polizei einen Deal anzubieten: sein Wissen über Legijas Mafianetz gegen die Zusicherung von Straffreiheit und einer neuen Existenz im Ausland. Die Djindjić-Regierung akzeptierte den Deal.

Morde an Politikern, Entführungen von Industriellen, Bestechung von Polizisten und hohen Justizbeamten, Drogengeschäfte, Frauenhandel und Zigarettenschmuggel – fast alles, was die Ermittler heute über das Netzwerk der Balkanmafia wissen, haben sie von Buha erfahren. Der hofft im Gegenzug auf Gnade: Die Justiz hat ihm den Status eines Kronzeugen eingeräumt. Sein Intimfeind Legija setzte fünf Millionen Euro auf seinen Kopf aus.

Im Innenministerium bereitete man sich vor knapp einem Jahr auf eine Verhaftungswelle vor. Ganz oben auf der Liste standen Legija und die Mitglieder seines Zemun-Clans. Ein Sonderstaatsanwalt sollte die Verfahren leiten. Am 11. März schließlich nahm der Staatsanwalt seine Arbeit auf – zwei Tage später war Regierungschef Djindjić tot.

Am 9. April, 27 Tage nach der Ermordung des Premierministers durch Legijas Killer, griffen Polizisten in Belgrad eine verwahrloste Frau auf. Sie hatte sich aus Mülleimern ernährt, ihre Haut war von einem Ausschlag gerötet, das Haar kurz geschoren, und sie schien verwirrt. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihr Name: Liljana Buha.