: Krieg um die Hütten im Norden Ugandas
Das Massaker der LRA-Rebellen an über 190 Kriegsflüchtlingen in Uganda macht deutlich: Schutz von Zivilisten hat nicht die oberste Priorität des ugandischen Militärs an der Kriegsfront. Das wollen die Rebellen durch brutale Angriffe ausnutzen
VON DOMINIC JOHNSON
Vor zwei Monaten stellte Ugandas bekanntester Journalist Andrew Mwenda eine peinliche Rechnung auf. 1992, schrieb er, zählte Ugandas Armee 120.000 Soldaten, der Verteidigungshaushalt betrug 44 Millionen US-Dollar. Bis 1996 war die Armee auf 40.000 Mann geschrumpft, aber der Haushalt hatte sich auf 88 Millionen Dollar verdoppelt. 2003 hatte Uganda 57.000 Soldaten – und einen Militärhaushalt von 160 Millionen Dollar. Zugleich sei die nordugandische Rebellenbewegung LRA (Lord’s Resistance Army) immer stärker geworden.
„Wieso gibt es eine direkte Korrelation zwischen der Erhöhung der Verteidigungsausgaben und der Eskalation bewaffneter Konflikte?“, fragte Mwenda und lieferte die Antwort gleich dazu: „Durch höhere Ausgaben können Armeeoffiziere vom Krieg profitieren. Sie blähen die Zahl ihrer Hilfstruppen auf; sie deklarieren die Toten und Verwundeten nicht und behalten sie auf den Soldlisten; sie nehmen Aufträge für die Versorgung der Armee in Kampfzonen an.“
Das Massaker der LRA an mindestens 192 Kriegsvertriebenen in einem Lager nördlich von Lira im Norden Ugandas am Samstag – das größte seit neun Jahren – hat das Ausmaß des Problems deutlich gemacht. Seit Wochen meldet die Armee immer neue Siege gegen die Rebellen irgendwo im Busch. Aber nun konnten mehrere hundert LRA-Kämpfer ungestört ein Lager überfallen und hunderte Hütten mit Frauen und Kindern anzünden.
Rund 1,3 Millionen Menschen leben im Norden Ugandas in solchen Lagern. Sie suchen Schutz vor den Rebellen, die Kinder rauben und Ernten plündern. Aber die Armee überlässt den Schutz der Lager lokalen Selbstverteidigungseinheiten. Gegen Angreifer mit schweren Waffen bis hin zu Flugabwehrraketen sind diese Milizionäre, die nur über rudimentäre Ausrüstung und Ausbildung verfügen, machtlos.
„Die LRA scheint Informationen über die Strategie der Armee zu haben“, analysiert ein ugandischer Konfliktforscher, der nicht namentlich genannt werden will. „Immer wenn die Armee die Oberhand zu gewinnen scheint, massakrieren die Rebellen Zivilisten. Sie greifen weiche Ziele an – die Milizen, die die Lager bewachen, während die Armee im Feld steht. Das untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung.“
Eine Basis in der Bevölkerung hat die LRA kaum. Sie entstand aus mystischen Heilsbewegungen im Norden Ugandas und rekrutierte sich in den 90er-Jahren aus Soldaten des nordugandischen Acholi-Volkes, die einst das Rückgrat des ugandischen Militärs bildeten, aber nach der Machtergreifung des aus Süduganda stammenden heutigen Präsidenten Yoweri Museveni 1986 verdrängt wurden. Ihr Führer Joseph Kony lebte lange im Sudan, und die dortige Regierung machte aus der LRA eine schlagkräftige Armee. Sudan machte mit der LRA Uganda unsicher, während Uganda im Südsudan die SPLA-Rebellen (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) unterstützte.
Als Sudans Regierung 2002 mit der SPLA Friedensverhandlungen einleitete, lud sie Ugandas Armee ein, die LRA im Sudan zu jagen. Aber während Ugandas Armee im Sudan einmarschierte, rückte die LRA aus Sudan massiv nach Uganda ein. Zwischen Anfang 2002 und Herbst 2003 stieg die Zahl der Kriegsvertriebenen in Norduganda von 350.000 auf 1,3 Millionen. „Die LRA terrorisiert die Bevölkerung, damit die Leute die Armee dafür kritisieren, sie nicht zu schützen“, erklärt der Politologe die Strategie der Rebellen. „Es ist schwer für die Bevölkerung, mit der Armee zusammenzuarbeiten, denn wenn die Armee die Rebellen angreift, sterben auch die entführten Kinder in deren Reihen. Deren Familien ist es lieber, wenn die Rebellen in Ruhe gelassen werden.“
Korruption in der Armee hilft da nicht. Wenn Offiziere ihre Gehaltslisten mit erfundenen Soldaten aufblähen, plündern sie nicht nur den Militärhaushalt, sondern täuschen auch Stärke vor. Laut Mwenda begann dies in großem Stil in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre, als für Norduganda der spätere Armeechef James Kazini zuständig war. Kazini leitete danach auch die von Korruption begleitete ugandische Militärintervention im Kongo. Letzten November wurde er entlassen und auf Fortbildung geschickt – nach Nigeria.
Über die neue Armeeführung hat der Präsident mehr Kontrolle. Das nützt ihm nicht unbedingt, meint David Ouma, Chefredakteur von Ugandas unabhängiger Tageszeitung Monitor. Ouma wurde vor zwei Wochen persönlich von Museveni über den bevorstehenden Sieg gegen die LRA gebrieft. „Er sagte, es seien nur noch versprengte Rebellengruppen übrig. Er will den Eindruck erwecken, der Krieg sei fast beendet. Damit kann er dem Volk sagen, dass er gewonnen hat, und sich 2006 wiederwählen lassen.“ Die brennenden Hütten von Lira haben diese Strategie vorerst zerschlagen.