: HSV spielt Leverkusen den Vampir
Der HSV nährt sich am restlichen Lebenssaft der Leverkusener Gäste und überrascht beim 3:1-Erfolg die eigenen Fans mit drei Toren in dreißig Minuten. Den musicalfreudigen Gästen nahm man das Rahmenprogramm bereits auf dem Platz vorweg
aus Hamburg JÖRG FEYER
Wenn der HSV-Fanblock eine Standardsituation 30 Meter vor dem Tor des Gegners noch vor Ende der ersten Halbzeit mit „Einer geht noch, einer geht noch rein“-Sprechchören begleitet, muss Wunderliches passiert sein in der Arena.
Passiert war dies: Der bisher nicht eben als Torfabrik notierte Gastgeber führte bereits nach 36 Minuten mit 3:0. Weil die Tore „genau zum richtigen Zeitpunkt fielen“, wie HSV-Coach Klaus Toppmöller später nicht müde wurde zu betonen. Wäre es anders gelaufen, wenn der Leverkusener Kopfball von Lucic nicht nur die Latte gefunden und so das 1:0 durch Hoogma (10.) postwendend egalisiert hätte?
Aber der Konjunktiv hilft ja bekanntlich nichts, zumal wenn man das Abwehrverhalten eines Absteigers an den Tag legt. Symptomatisch das 3:0: Nach einem Stellungsfehler lässt sich Placente von Mahdavikia überlaufen, der in die Mitte zurücklegt. Dort zappelt der arme Lucic auf dem Rücken wie ein verzweifelter Maikäfer im November, während Romeo so unbedrängt vollenden kann wie sonst nur ein Torjäger in der E-Jugend, der auch mal sechs Tore in einem Spiel macht. Leverkusen kam zwar noch vor der Pause zum Anschlusstreffer durch Bernd Schneider. Doch der Kurzberichterstatter-Konsens besagte, dass in Halbzeit zwei nichts mehr passierte.
Das ist falsch, denn es passierte dies: Leverkusen gab sich nicht auf. Kämpfte und spielte. Naja, versuchte zu spielen, zeitweilig auf ein Tor. „Wir wollten über Konter kommen“, hatte Toppmöller die naheliegende defensive Devise für den zweiten Durchgang ausgegeben. Wollten. Brauchte der HSV aber gar nicht, weil es dem überlegenen Rekonvaleszenten Leverkusen an der nötigen „Durchschlagskraft“, so ihr Trainer Klaus Augenthaler, an Präzision im Abschluss oder beim letzten Pass fehlte.
Mehr als ein Kopfball durch Berbatow (knapp drüber), eine Großchance durch Schneider (die HSV-Keeper Wächter parierte) und ein Abseits-Tor von – wieder – Berbatow sprangen denn auch nicht raus.
Immerhin: Anders als noch in der Vorwoche musste sich Metaphernschleuder Rainer Calmund „nicht mehr schämen“ angesichts der Vorstellung seiner Truppe, die der Manager denn auch nicht im Büßergewand „mit Konservendosen in den Keller“ schicken mochte.
Stattdessen regte es viele Berichterstatter furchtbar auf, dass sich die Gäste nach der Pleite kollektiv und mit Anhang für einen Musical-Besuch beim „Tanz der Vampire“ schick machten, der schon lange als Beiprogramm der Hamburg-Reise gebucht war. Was natürlich gleich ein paar Gratis-Kalauer ermöglichte, von wegen „bissig“ und „blutleer“ und so. Das Recht auf freie Wahl kultureller Erbauung scheint für Fußballer nicht zu gelten. Dass ihr Geschmack dabei in der Regel ausbaufähig ist, ist nichts Neues. Was Klaus Augenthaler allerdings nicht gemeint haben dürfte, als er hoffnungsfroh deklamierte, seine Mannschaft habe „kapiert, woran sie arbeiten muss.“
Was würde die mediale Etikette-Polizei wohl sagen, wenn Nowotny und Co. nächstes Mal für Hamburg Bob Dylan mitbuchen?