Eine Frau im Männerkreis

„Wir haben gar nicht die Ressourcen, um uns abzugrenzen“. Die erste türkische schwul-lesbische Folkloregruppe in Deutschland trainiert mit dem Verein „Tüfoyat“ anatolische und andere Tänze

von FRIEDERIKE WYRWICH

Alle jungen Frauen im Saal haben lange Haare: als Zopf geflochten, hochgesteckt oder einfach offen. Sie üben an diesem Dienstagabend im Schöneberger Kulturzentrum PallasT den Çiftetelli – einen anatolischen Kreistanz für Frauen. Nur eine von ihnen sieht anders aus: Ipek trägt die Haare kurz. Die Tänzerinnen laufen mit kleinen Schritten in zwei Kreisen, schütteln ihre Schultern zur traditionellen Musik. Die Männer der Gruppe warten derweil am Rande des kargen Übungsraumes. Bis auf vier: Die wiegen mit den Frauen im Kreis ihre Hüften, bewegen ihre Arme elegant über den Köpfen, als würden sie gerade süßen Wein pflücken.

Wer die Mitglieder der ersten schwul-lesbischen türkischen Folkloregruppe Deutschlands im Tanzsaal ausmachen will, muss genau hinsehen. Denn die insgesamt zehn Männer und Frauen trainieren nicht allein für sich, sondern gemeinsam mit dem seit zwei Jahrzehnten bestehenden Berliner Folkloretanzverein „Tüfoyat“ unter der Leitung von Tanzlehrer Sabri Baybas. „Wir finden, dass die türkischen Folkloretänze nicht nur von Heterosexuellen getanzt werden können“, erklärt Hakan Tas, der die schwul-lesbische Gruppe vor wenigen Monaten gegründet hat. „Homosexuelle sind gute Darsteller, die können die Bewegungen der Tänze auch gut rüberbringen.“ Und sie haben Spaß daran, die traditionellen Geschlechterrollen aufzubrechen.

Ipek Ipekçioglu nennt das „postmoderne Traditionalität schaffen“. Als die wenigen Tänzer im Saal den Männertanz Zeybek einmal allein üben, tanzt die Endzwanzigerin als einzige mit in dem Kreis, während alle anderen Frauen am Rand warten. „Ich habe als Kind vier Jahre lang getanzt“, erzählt sie. „Ich will einfach einen Teil meiner Kultur auch im schwul-lesbischen Kontext leben.“

Als die Gruppe vor ein paar Monaten mit zwölf Tänzern das erste Mal zum Training kamen, gab es schon ein paar Berührungsängste, Blicke, Distanz, erzählt Hakan Tas. Die meisten Mitglieder von „Tüfoyat“ hätten bis dahin wahrscheinlich kaum Kontakt zu Schwulen und Lesben gehabt. So sagt eine junge Tänzerin: „Das waren so viele auf einmal. Ich wusste gar nicht, dass es die gibt.“ Andere sahen zum ersten Mal, dass Männer auch Frauentänze tanzen können. „Die sind gut drauf, eine Bereicherung“, meint eine andere. „Da ist das Üben nicht so trocken.“

Lernen, miteinander umzugehen: Das ist die Absicht der schwul-lesbischen Folkloretänzer. „Wir wollen uns in die Hetero-Gesellschaft einbringen“, betont Ipek Ipekçioglu. Nur darüber entstehe Akzeptanz. Die Abgrenzung, wie sie zwischen deutschen Hetero- und Homosexuellen viel stärker besteht, wünscht sie sich für ausländische Communities nicht. „Wir sind eine Minderheit in der Minderheit“, sagt sie. „Wir haben gar nicht die Ressourcen, um uns so abzugrenzen und für jedes Bedürfnis eine eigene Gruppe zu gründen.“ Außerdem seien sie auch in der deutschen schwul-lesbischen Szene eine Randgruppe, die Diskriminierung erfahre.

Schwule hat es auch vorher schon im Verein „Tüfoyat“ gegeben, aber: „Solange sie sich zurückgehalten haben, gab es keine Probleme“, sagt Sabri Baybas. „Sonst hätte ich sie verteidigt.“ Er, der die neue Folkloregruppe nach Kräften unterstützt, bildet eher die Ausnahme in der türkischen Community, wo viele mit Homosexualität lieber nicht in Verbindung gebracht werden wollen. So müssen die Schwulen und Lesben keine Unterrichtsgebühren zahlen und bekommen auch die Kostüme kostenlos.

Die sollen bei künftigen Auftritten auch konträr zu den gängigen Geschlechternormen getragen werden: Männer in Kleidern, Frauen in der typischen Männerkleidung. „Durch unsere Auftritte als eigene schwul-lesbische Folkloregruppe wollen wir unsere Sichtbarkeit erhöhen“, sagt Hakan Tas. Nicht nur in der türkischen Community, auch in der schwul-lesbischen.

Der erste Auftritt der schwul-lesbischen Folkloregruppe findet am 17. Mai in der Urania statt. Training (offen auch für Heteros): Di., 18.30 Uhr im Kulturzentrum PallasT, Potsdamer/Ecke Pallasstraße