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Archiv-Artikel

Trauriger Abgang des Zauberwichts

Thomas Häßler, Inbegriff des fußballverrückten Dribbelkünstlers, schlägt seine letzten Haken in der Bundesliga – sofern ihn der Trainer noch aufstellt. 1860 München plant nicht mehr mit dem 36-Jährigen und gönnt ihm auch keinen stilvollen Abschied

aus München THOMAS BECKER

Er schaut einfach nicht hin. Dabei redet der Trainer ausdauernd und sehr vernehmlich mit seinem Team. Es geht um die Viererkette und wie man sie aushebelt. Um kreatives Spiel halt. Thomas Häßler hört nicht zu. Schaut demonstrativ in die andere Richtung, zum einst planetenweit besten Torjäger Davor Suker, der mit zwei Junioren Torschuss üben muss: Flanke, Volley-Abnahme. Immer wieder, eine stupide Übung. Aber Häßler würde liebend gern tauschen. Einfach draufballern, nur so, stundenlang. Doch dann ist er dran, bekommt – natürlich – den Ball: Körpertäuschung, Pass gegen die Laufrichtung, und schon steht die Viererkette ziemlich blöd da. Falko Götz raunzt: „Hey, macht’s ihm doch nicht so einfach, Mann!“

Es wird Herbst in Icke Häßlers Karriere. Der Mann, der als Zehnjähriger bei Meteor 06 Berlin anfing, sieht sich derzeit von einem ebensolchen Himmelskörper bedroht. Haarscharf schlugen bereits mittelgroße Brocken rechts und links von ihm ein, und dass ihn der große, finale Stein über kurz oder lang treffen wird, weiß er so genau, wie wir sein Gesicht, seine Beine, seine Haken kennen. Bloß: Er will das nahende Ende nicht wahrhaben.

Thomas Häßler hat sechs Tage nach Saisonende Geburtstag. Er wird 37. Bei Profifußballern tickt da die biologische Uhr schon nicht mehr, sie gibt vielmehr Alarm, klingelt, lärmt, warnt: Time to say Goodbye, servus und auf Wiedersehen als Jugendtrainer, Fanbeauftragter oder Aufsichtsratsmitglied. Zynische Fans würden singen: „Schade, Icke, alles ist vorbei.“ Niemand singt das, wenn der kleine Mann derzeit in Deutschlands Stadien zum letzten Mal gegen den Ball tritt.

Thomas Häßler wird hierzulande nicht mehr oft um Punkte spielen, dreimal vielleicht noch, dann wären es genau 400 Bundesligaspiele. Wenn denn alle relevanten Sechziger schön brav verletzt bleiben. Wenn der Trainer nicht doch noch einen laufstärkeren, irgendwie jüngeren Vertragsamateur auftreibt. Und wenn es der Präsident schafft, seine wunderlichen Gedankengänge ausnahmsweise mal für sich zu behalten.

Der TSV 1860 München und Thomas Häßler – ein am Ende entwürdigendes Schauspiel. Prolog: Der Kicker bekommt für die neue Saison keinen Vertrag mehr. Der Klub muss sparen, Häßler ist teuer, alt, war lange verletzt, ist kein Trainingsweltmeister – eine korrekte, wenn auch für Nostalgiker und den Betroffenen bittere Entscheidung. Hauptteil: Häßler ist wieder da, fit, gewitzt wie immer, einer, den die verwaiste Kreativabteilung so nötig braucht wie der Fisch das Wasser – aber er kommt nicht dran. Die Fans schreien, der Trainer wechselt fleißig ein, doch Häßler ist meist nicht dabei. Der Mann, vor 20 Jahren vom FC-Köln-Jugendtrainer Christoph Daum entdeckt, Welt- und Europameister, 101-maliger Nationalspieler, Profi bei Köln, Juventus Turin, AS Rom, KSC, BVB und 1860, Fußballer des Jahres 1992, „Zauberwicht am Ball“ (FAZ), „die Verkörperung des attraktiven Spiels“ (B. Vogts), „einer der perfektesten Fußballer der Welt“ (G. Netzer), dieser Spieler muss zusehen, wie die anderen Rumpel-Sechziger vor sich hin stümpern. Und sich von seinem Präsidenten, der eigentlich Wirt ist, über die Presse Sätze sagen lassen, die selbst sehr langmütige Charaktere zur Weißglut treiben würden.

Dabei hat es sich selbst bis zu den Nichtfußballern herumgesprochen, dass der Mensch Häßler eher einer von der sensiblen Sorte ist. Schluss: Tja, wenn man das wüsste. Der Präsident schmollt und schweigt. Der Sportdirektor spricht von angemessenem Abschied, weiß aber, dass das nicht mehr funktionieren kann. Und der Trainer sagt, dass er Häßler nicht zutraut, dem Verein „34 Spiele lang zu helfen“. Kündigt aber gleichzeitig Häßlers samstäglichen Auftritt in der Startelf an – alles klar?

Es ist ein Jammer. Leider hat diese Art, mit verdienten Vereinsangestellten umzugehen, traurige Tradition bei den als so bodenständig-volksnah geltenden Löwen. Die Liste der Verprellten ist lang und prominent besetzt: Manni Schwabl, Mannschaftskapitän, suspendiert, nachdem er eine Abschlussfeier schwänzte. Bernhard Winkler, Held mehrerer Aufstiege, ins Nirwana geschickt wie ein unbekannter Probetraining-Absolvent. Olaf Bodden, einst gefeierter Torjäger, nach komplizierter Krankheit schlichtweg ignoriert. Die Wut bricht sich Bahn: „Was soll man erwarten von einem, der kein Gehirn hat?“, fragt Bodden eher rhetorisch in die Richtung des Präsidenten-Wirtes. Nun also Häßler. Und Martin Max. Und Davor Suker. Und Simon Jentzsch. Und wer weiß, wen es noch alles trifft. Karl-Heinz Wildmoser hat mal wieder Stillosigkeit bewiesen; die Leidtragenden sind der wohl populärste Sechziger seit Rudi Brunnenmeier und Petar Radenkovic – und natürlich wir Fans.

Aber anders als 1860 dürfen wir uns vorfreuen: auf Ickes Erfolgsgeschichte in der 1.001-Nacht-Liga in Katar. Auf die Renaissance des Melodic Rock und somit den Boom für Ickes darbende Musikagentur. Und natürlich auf all die Promi-Spiele: Icke mit Litti, Ente Lippens, Buffy Ettmayer und all den anderen Fummlern gegen die Grätscher und Wildmosers dieser Fußballwelt. Wer gewinnt? Brauchen wir gar nicht hinschauen.