: Bildnis anonymer Trinker
Biertisch-Topografie: Der Münchner Maler Florian Süßmayr stellt erstmals in Berlin aus. Seine „Texte zur Kunst“ schreiben bajuwarische Archäologie und kommen aus keiner Schule, folgen keinem Trend und kennen keine Rückversicherungen
von CLAUS LÖSER
In Jörg Buttgereits und Manfred Jelinskis 1984 gedrehter Super-8-Dokumentation „So war das SO 36“ sieht man ein aus München angereistes Musikerduo namens Lorenz Lorenz, das wacker gegen ein Blechgewitter aus leeren Bierdosen anspielt. Der Sänger in Lederhosen sucht Deckung hinter seinem Keyboard, während sich der Gitarrist stoisch Akkord um Akkord abtrotzt. Alles wartet auf den Auftritt der damals legendären Band Soylent Green, zu deren Abschiedskonzert Lorenz Lorenz als Vorgruppe geordert worden waren.
20 Jahre später sind Soylent Green als Die Ärzte zu erfolgsgesättigten Pop-Veteranen geworden, die Dada-Punkband Lorenz Lorenz gibt es längst nicht mehr. Ihr damaliger Gitarrist Florian Süßmayr ist jetzt für einen Auftritt nach Berlin zurückgekehrt – diesmal als Maler. Und für seine erste Berliner Ausstellung hat er sicherheitshalber alles selbst in die Hand genommen. Bei den zahllosen Galeristen in Mitte, Charlottenburg oder Wilmersdorf ist er gar nicht erst vorstellig geworden. Er machte sich andernorts auf die Suche, ernannte kurzerhand ein leer stehendes Bürogebäude in Friedrichshain zur temporären Galerie. Nicht im „In-Bezirk“ am Boxhagener Platz und Simon-Dach-Platz, sondern direkt auf der Frankfurter Allee, in einem der einst zum ewigen Ruhm des DDR-Sozialismus errichteten Stalin-Bauten.
Leerstand ringsum, kaum Passanten unterwegs. Im Obergeschoss der Hausnummer 23 öffnet sich die fast 600 Quadratmeter große Fläche einer erst kürzlich von der Berliner Bank aufgegebenen Filiale. Bis 1990 war hier die Schalterhalle der volkseigenen Sozialversicherung untergebracht. An den Wänden der verzweigten Räume nun Süßmayrs Bilder – mehr als 60 Arbeiten, die fast alle um das Bier und seine Spuren im Münchner Stadtbild kreisen. Doch handelt es sich nicht um Hofbräuhaus-Folkloristik; auch nicht um deren Persiflage. Bier trinkende Menschen sind keine abgebildet.
Die Blätter, Gemälde und Hinterglasobjekte fixieren vielmehr die auf Kneipentischen oder Toiletten hinterlassenen Insignien zahlloser Trinker und Wirte. So gibt es eine Reihe von Aquarellen („Münchner Hell“), auf denen vor Lokalen aufgestellte Tafeln reproduziert wurden. Hier ist der narrative Gehalt noch am konkretesten: „Unser Kollege und langjähriger Kantinenwirt Mader, Sepp ist heute 25. 7. verstorben mit 73 Jahren.“ Auf den vier Ölbildern der „Walters-Stüberl-Serie“ finden sich fotorealistische Vergrößerungen von Notizen, die auf einen Rechnungsblock gekritzelt wurden: Bestellungen, aber auch Aufstellungslisten für eine Freizeit-Fußballmannschaft.
Den größten Raum nehmen die zwischen A4- und A1-Format schwankenden Frottagen ein: mit Wachsstift vorgenommene Durchreibungen der Kneipentische im Hofbräuhaus. Über die natürliche Maserung des Holzes hat sich ein dichtes Netz von Kritzeleien und Einkerbungen gelegt, das von Süßmayr ausschnitthaft in den Status grafischer Arbeiten gehoben und damit in ganz neue Kontexte gebracht wird. Die in diesem Zyklus quasi dokumentarisch reproduzierten, von anonymen Trinkern hinterlassenen Namenskürzel, Anzüglichkeiten, Daten, Umrisszeichnungen, Symbole tauchen als wohlarrangierte Bildelemente in den Hinterglasobjekten und Ölbildern wieder auf.
Florian Süßmayr hat seine Wurzeln in der politisch-künstlerischen Subkultur Münchens der frühen und mittleren 80er-Jahre. Mit Wolfgang Biehlmayr vom Werkstattkino München und Anatol Nitschke, dem jetzigen Geschäftsführer des X-Filmverleihs, war er Mitglied der politaktivistischen Bewegung „Freizeit 81“, wurde wie diese mit drakonischen juristischen Strafen gemaßregelt. Später spielte er mit Romuald Karmakar im Verein „FC/DC“ Fußball. Wenn die Zeiten von Punk und Stadtguerilla scheinbar auch vorbei sind, so ist Süßmayr der eigenen Ungeduld doch treu geblieben. Seine Malerei kommt aus keiner Schule, folgt keinem Trend, kennt keine marktstrategischen Rückversicherungen. Nach den immer abstrakter gewordenen Landschafts- und Städtebildern und den kürzlich in Zürich ausgestellten „Farb- und Fußballfeldern“ werden seine Arbeiten mit den Kneipen-Werkgruppen wieder gegenständlicher. Seit längerer Zeit denkt Süßmayr über einen Zyklus mit den vergrößerten Tätowierungen Dee Dee Ramones nach. Punk’s not dead!
Florian Süßmayr: „Texte zur Kunst“. Bis 18. Mai, täglich von 15 bis 21 Uhr, Frankfurter Allee 23