: Bremen revisited
Herbert Schwarzwälder, Koryphäe der Bremer Landesgeschichte, legt das dritte Update seines Lokal-Lexikons vor. Nebenbei demontiert er dabei den Mythos enzyklopädischer Unfehlbarkeit
Von Henning Bleyl
Der Verfasser eines Lexikons ist ein Richter über Sein oder Nicht-Sein. Ein nach bestem Gutdünken waltender Gärtner der Erinnerung. Zumal, wenn er als Einzelautor agiert wie der 1988 emeritierte Bremer Geschichtsprofessor Herbert Schwarzwälder. Jetzt hat er zu den vorhandenen 7.500 Stichworten seines „Großen Bremen-Lexikons“ fast 1.000 weitere hinzugefügt.
„Es waren nur wenige Fehler zu korrigieren“, schreibt Schwarzwälder in Bezug auf die beiden bisherigen Bände. Das wird man vom aktuellen Ergänzungsband nicht behaupten können. Gut: Dass die Bremer CDU zum „Ortsverband“ degradiert wird, kann man durchgehen lassen, den verdienten Verwaltungsdirektor Rolf Rempe zum Generalintendanten des Theaters geadelt zu sehen, ebenfalls. Aber die TUI als „100-prozentige Tochter von Hapag-Lloyd“? Das ist denn doch zu viel des Wunschdenkens. Anders gesagt: Die Edition Temmen hätte ihrem hochverdienten Autor durchaus ein anständiges Lektorat spendieren können.
Auch in Sachen Fotoredaktion wurde an der falschen Stelle gespart. Zwar gibt es, wie schon in den vorhergehenden Ausgaben, etliche historische Trouvaillen zu bewundern. Die große Mehrheit der aktuellen Aufnahmen hat jedoch eine einigermaßen unterirdische Qualität. Das liegt nicht unbedingt an Schwarzwälder, der trotz seiner 89 Jahre unermüdlich mit dem Fotoapparat unterwegs ist, im Gegenteil: Dass der umfassend orientierte Historiker etwa bei seinen Architektur-Dokumentationen ausgiebig Autos und Straßenbäume ins Blickfeld aufnimmt, muss in Hinblick auf spätere Leser-Generationen nicht verkehrt sein – man kennt ja seine eigene Freude an schicken Oldtimern als bildnerische Begleiterscheinungen. Aber die Reproduktion dieser Aufnahmen, allein schon gemessen am Basal-Parameter Bildschärfe, hat der Verlag schlichtweg versaubeutelt.
Bei einem „Nachschlagewerk zum professionellen Einsatz“ – so die Werbung der Edition Temmen – kann man im Übrigen durchaus erwarten, dass die neue Direktorin des Focke-Museums nicht in Wirklichkeit ein wenig anders heißt, als enzyklopädisch verewigt. Oder dass die Auflistung der Bremer Theaterintendanten auch zwischen 1985 und 1994 stimmt. Und wenn der Amtsantritt des aktuellen Landesdenkmalpflegers um drei Jahre vorverlegt wird, kaschiert das die vor Skaleckis Ernennung bestehende Vakanz auf diesem Posten – die durchaus als Politikum zu begreifen ist.
Selbst das Vertun um einen Prozentpunkt kann wesentliche Zusammenhänge verunklaren: Dass an der Bremer Philharmoniker GmbH die MusikerInnen und die Philharmonische Gesellschaft eben nicht jeweils 25 Prozent halten, wie Schwarzwälder irrtümlich schreibt, sondern ein kleines bisschen mehr, macht gerade den Witz der Konstruktion aus: Die private Mehrheit ist ein bundesweit beachtetes – und gewerkschaftlich umstrittenes – Orchesterträgerschafts-Modell.
Schwarzwälder ist dem Grundsatz treu geblieben, nur Tote mit einem eigenen Text zu bedenken. Entsprechend kann man den Ergänzungsband auch als Nekrologium der vergangenen fünf Jahre lesen. Herbert und Inge Schwarzwälder werten dafür laufend die Tagespresse aus – „eine Sisyphus-Arbeit“ –, daneben gebe es allerhand Zuschriften à la „Warum wird mein Onkel nicht erwähnt?“
Das Lexikon ist dort stark, wo es um Schwarzwälders eigenes Metier geht: die Geschichte. Und da hat der Ergänzungsband, auch wenn er zu großen Teilen auf neueste Entwicklungen eingeht, durchaus einiges zu bieten. In dem Schwarzwälder beispielsweise die Kurzbiographien der 1996 gestorbenen „halbjüdischen“ Domorganistin Käthe van Tricht und des Bremer Gestapo-Chefs Erwin Schulz aufnimmt, beleuchtet er interessante Facetten der Lokalgeschichte: Schulz, in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt, wurde nach energischen Interventionen des allseits verehrten Bürgermeisters Kaisen bereits 1954 begnadigt und arbeitete anschließend in einer Bremer Kaffeefirma.
Während das Blaumeier-Atelier oder die „Speckflagge“ noch auf die Ehre eines Ersteintrags warten müssen, hat sich die „Temmen, Edition“ eine Ergänzung in eigener Sache gegönnt: „Seit 2006 hat der Buchverlag auch hochwertigen Kaffee im Sortiment.“ Abzuwarten bleibt, wann die Tücke des Redaktionsschlusses eine vierte Auflage nahe legt. Denn dass an der Bredenstraße bereits „ein großes 4-5-Sterne-Hotel“ stehe, ist etwas optimistisch ausgedrückt.