: Wer draußen wohnt, kriegt Geld
Niedersächsische Politiker begrüßen Gerichtsurteil zur Pendlerpauschale. Künftig soll schon der erste Kilometer steuerlich abgesetzt werden können. Der BUND findet das ökologisch fatal und ungerecht
VON GERNOT KNÖDLER
Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) hat auf das Urteil zur Pendlerpauschale mit Galgenhumor reagiert: „Offensichtlich haben zwei Verfassungsrichter in Karlsruhe gewohnt und sechs außerhalb“, kommentierte Möllring die 6 : 2-Entscheidung des Gerichts. Der Finanzminister muss mit Einnahmeausfällen von mehr als 100 Millionen Euro rechnen. Seine Mit-Landespolitiker aus CDU, SPD und FDP dagegen begrüßten das Urteil nahezu einhellig: Ihnen fällt es leichter, sich bei den Menschen auf dem platten Land Liebkind zu machen.
Die Verfassungsrichter hatten die seit Januar 2007 geltende Regel für nichtig erklärt, nach der der Arbeitsweg erst ab dem 21. Entfernungskilometer von der Steuer abgesetzt werden kann. In ihrer Reaktion darauf hat die Bundesregierung angekündigt, sie wolle die alte Pendlerpauschale vom ersten Kilometer an wieder einführen. Das Geld soll möglichst schnell an die Steuerzahler zurück überwiesen werden. Wer die Pauschale für die ersten 20 Kilometer komplett ausschöpft, kann pro Jahr fast 1.400 Euro zusätzlich von der Steuer absetzen.
Geklagt hatte unter anderen ein Ehepaar aus Oldenburg. Der Mann arbeitet als kaufmännischer Angestellter im 41 Kilometer entfernten Garrel, Kreis Cloppenburg. Seite Frau fährt jeden Tag zur Arbeit nach Stuhr im Kreis Diepholz – 54 Kilometer in die entgegengesetzte Richtung. Mit einem Umzug hätte sich ihr Fahrproblem nicht lösen lassen.
Der Umweltverband BUND kritisierte das Urteil dennoch als ökologisch falsch und ungerecht. „Schließlich gibt es auch keine Steuervergünstigung, wenn Arbeitnehmer näher an den Arbeitsplatz ziehen und dafür höhere Mieten in Kauf nehmen“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Wenn überhaupt, müssten Geringverdiener mit weiten Wegen gefördert werden. „Das Urteil unterläuft die Absicht der Bundesregierung, bis 2020 den Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu senken“, so Weiger. Eine neue Siedlungs- und Verkehrspolitik sei damit nicht zu machen.
„Für die Dörfer ist das ein Plus“, findet Thorsten Bullerdiek vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. Der ländliche Raum drohe abgehängt zu werden. „Sie zahlen weniger Miete“, räumte er ein. „Dafür wird es aber immer unattraktiver.“ Das platte Land leide unter der schlechten Bus- und Bahnanbindung sowie einer schlechten Infrastruktur. Viele Dorfbewohner müssten sich mit langsamen Internet-Anschlüssen zufrieden geben. Wenn sich dann noch der Trend etabliere, im Alter in die Großstadt zu ziehen, „geht irgendwann die Substanz in den Orten verloren“, sagte Bullerdiek.
Er gesteht zu, dass die Orte im Speckgürtel der großen Städte keine Probleme hätten. Am Beispiel Hamburgs lässt sich das gut illustrieren: In der 1,7 Millionen Einwohner zählenden Großstadt pendeln täglich fast 200.000 Menschen mehr ein als aus. Die meisten kommen aus den Nachbarkreisen, an die Hamburg seit vielen Jahren Einwohner verliert. Die Einwohnerschaft dieser Nachbarkreise ist von 1995 bis 2004 doppelt so stark gestiegen wie die der Stadt. Aus Hamburger Sicht ist dabei problematisch, dass die Umlandbewohner zwar die städtischen Einrichtungen in Anspruch nehmen und ihre Straßen verstopfen – aber nur sehr eingeschränkt zum Steueraufkommen beitragen.
Die Hamburger Stadtentwicklungsbehörde wollte das Urteil nicht kommentieren. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) bezeichnete es als „durchaus erfreulich“. Es sei sinnvoll, noch im November eine Neuregelung zu beschließen. Er rechne damit, dass die Bundesregierung vorschlagen werde, die Pauschale auf 25 Cent zu senken. Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) freute sich wie SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner über die Entlastung der Arbeitnehmer.
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