: „So geht’s nicht mehr“
Erst wenn im Kosovo demokratische Standards herrschen, wird Statusfrage entschieden, meint Winfried Nachtwei
taz: Herr Nachtwei, fünf Jahre nach dem Einmarsch der Nato und der Bildung der UN-Mission im Kosovo kommt es wieder zu Ausschreitungen wie jetzt in Mitrovica. Was ist schief gelaufen?
Winfried Nachtwei: Sicher gibt es nach wie vor Gewaltpotenziale im Kosovo. Doch eigentlich zeigte die Entwicklung der letzten drei Jahre eine Besserung an: Die Gewalt hat abgenommen. Problem aber ist, dass viele Gewaltakte ethnisch interpretiert werden und dann eine enorm eskalierende Wirkung haben. Die Umstände des Todes der albanischen Kinder haben die kosovo-albanische Öffentlichkeit mobilisiert. Ein böser Nachbar, der Hunde auf Kinder hetzt, steht dann plötzlich für alle Serben.
Im Augenblick scheint die Lage außer Kontrolle.
Die internationale Gemeinschaft ist mit ihren Instrumenten hier sicher in der Lage, bei jeder Herausforderung zu bestehen. Von Anfang an ging es ihr aber vordringlich darum, den Aufbau einer lokalen Polizei voranzutreiben. Und da ist doch einiges geschafft worden: Zehn Polizeistationen stehen schon, bis 2006 sollen alle an lokale Kräfte übergeben werden. Es ist gelungen, eine ethnisch gemischte Polizei aufzubauen, und die UN-Polizei arbeitet viel effektiver als anfangs.
Hat die Eskalation der letzten Tage nicht auch mit dem Gerede um den Aufbau einer EU-Armee und dem Rückzug der Nato aus dem Kosovo und vor allem aus Bosnien zu tun?
Was Bosnien und Herzegowina angeht, haben wir dort schon bei der Polizei eine beratende EU-Mission, die ganz gut läuft. Die SFOR-Truppen sollen dort bald von einer EU-Armee abgelöst werden. Das ist wohl in Bosnien auch richtig. Für die EU ist das aber ein Quantensprung. Denn die Akzeptanz der politischen Rolle der EU ist auf dem Balkan, in Bosnien und im Kosovo, gelinde gesagt nicht hoch. Was die Polizei im Kosovo angeht, warne ich vor Bestrebungen, die UN-Polizei zu schnell zurückzufahren. Sie ist das Kernelement der Sicherheit im Lande. Bei den KFOR-Truppen kann man möglicherweise reduzieren, doch hier im Kosovo wäre ich erheblich zurückhaltender mit der Idee eines Wechsels zu EU-Truppen. Erst müsste sich der Kommandowechsel in Bosnien und Herzegowina bewähren.
Hinter den Ausschreitungen steht doch nicht nur ethnischer Hass. Es geht doch um die verschleppte Entscheidung über den Status des Kosovo. Das Land hat in diesem Zwitterdasein – einerseits von der UN verwaltet, andererseits irgendwie zu Serbien gehörig – auch wirtschaftlich keine Zukunft. Müsste man nicht endlich eine Entscheidung treffen?
Die Konflikte sind durch die sicherheitspolitischen Instrumente nur eingefroren, das Konfliktpotenzial aber ist in Bosnien wie im Kosovo geblieben. Der Dayton-Vertrag hat eine Selbstblockade für Bosnien und Herzegowina geschaffen. Das geht so nicht mehr. Im Kosovo müssen bis 2005 demokratische, rechtsstaatliche Standards umgesetzt werden, sonst sind die Minderheiten im Lande bedroht. Auch die EU will diese Standards als Voraussetzung für weitere Gespräche erfüllt sehen. Erst wenn das geschieht, steht die Entscheidung über die Statusfrage an.
Wer wird dann entscheiden?
Diese Entscheidung kann nur zwischen den Repräsentanten der hiesigen Bevölkerung, Belgrad und der internationalen Gemeinschaft getroffen werden.
Die Entscheidung hängt also von Belgrad ab?
Man kann nicht über den Kopf einer Seite hinweg entscheiden.
Dann wird aber nie entschieden. Serbien wird doch niemals die Ansprüche auf das Kosovo aufgeben.
Jede Entscheidung der Statusfrage hätte verheerende Folgen. Aus dieser Antwort spricht auch eine gewisse Ratlosigkeit.
INTERVIEW: ERICH RATHFELDER