: „Ich liebe dich, du mich auch?“
Der Türk Günü, der Tag der Türken, mobilisierte rund 18.000 Teilnehmende. Statt Reden zum Thema Integration gab’s Play-back-Pop und zufriedene Veranstalter. Das nationalistische Image aber bleibt
von CEM SEY
„Ich liebe dich / liebst du mich? / Ich weine / Lachst du mich aus?“
Der Frontmann der türkisch-berlinischen Rockband Balta drückt die Gefühle der Versammelten am Brandenburger Tor aus. Dem Regen trotzend, singen rund 2.000 Türkinnen und Türken mit. Sie sind stolz, Türken zu sein. Aber sie sagen auch, dass sie der Bevölkerung in Deutschland ihre friedlichen Absichten zeigen wollen, ihre feste Zugehörigkeit zur hiesigen Gesellschaft.
Mit dieser Veranstaltung zeigen sich Deutschlands Türken von ihrer modernsten Seite. Das Durchschnittsalter auf dem Pariser Platz ist um die zwanzig. Einige Frauen mit Kopftüchern sind dabei, zahlreiche Türkinnen in engen Jeanshosen ziehen die Blicke der umstehenden wenigen deutschen Männer auf sich. Doch ins Gespräch kommt man nicht. Offenbar schreckt die Anwesenheit der „ausländisch“ aussehenden jungen Männer ab.
Der Kulturveranstaltung im Regierungsviertel geht ein „Festzug der Türken“ voraus. Nach Polizeiangaben haben sich 18.000 türkische Migranten an dem Marsch beteiligt. Der türkische Botschafter reiht sich in der ersten Reihe ein, gleich hinter einem Porträt des Staatsgründers Atatürk. Es herrscht eiserne Disziplin – wegen der Kritik an dem Festzug des vergangenen Jahres, der vielen zu „nationalistisch eingefärbt“ erschienen war. Heute ist es mehr ein Marsch, für einen Festzug sind die Teilnehmenden zu ernst. Das Organisationskomitee hatte zuvor das Tragen aller politischen Symbole verboten. Journalisten können nicht ungehindert arbeiten. Nicht aus Bosheit, sondern wegen des organisatorischen Chaos – eine urtürkische Eigenschaft.
Zuschauende Deutsche sind verblüfft. „Ich bin überrascht“, sagt ein junger Mann mit Meckieschnitt, „dass so viele Türken hier laufen. Worum geht es denn?“ Diese Frage beschäftigt auch andere Zuschauer auf ihrem sonnabendlichen Spaziergang in der City.
Ein Rentnerpaar ist dennoch von der Aktion überzeugt: „Solange keine Steine fliegen, ist es gut.“ Ein elegant gekleideter Finanzberater ist unentschieden: „Das sind die uns Zugetanen. Unsere Gemüsehändler und Döner-Buden-Besitzer. Wir haben nur etwas gegen die Sozialhilfeempfänger, während unsere alte Oma ihre Zähne nicht behandeln lassen kann, weil sie nicht genügend Geld hat.“ Seine Frau nickt.
Unter den Linden versinkt in einem Meer türkischer Fahnen. Die vom Veranstalter Tacettin Yatkin von der Türkischen Gemeinde zu Berlin e.V. versprochenen deutschen und EU-Fahnen sind wohl nicht mehr rechtzeitig eingetroffen. Ab und zu schreien junge Männer und Frauen: „Türkei, wir sterben für dich!“ Ein junges Mädchen hat das Verbot missachtet. Auf ihrem Stirnband steht: „Idealistische Jugend“ – die Jugendorganisation der Ultranationalisten.
Das abschließende Konzert auf der riesigen Bühne vor dem Brandenburger Tor wird vom türkischen Staatsfernsehen TRT-INT live in die Heimat übertragen. Auf einer VIP-Bühne geben die Organisatoren aufgeregt Interviews und der Botschafter beweist Stehvermögen. Stundenlang steht er auf der Bühne. Schließlich vertreibt die meisten der Regen. Die Unerschrockenen verkriechen sich unter ihre türkischen Fahnen, die sie als Regenschirme nutzen.
Warum sie trotz des schlechten Wetters hierbleiben, erklären die meisten Jugendlichen brav mit den Worten: „Weil wir Türken sind!“ Nur ein 18-Jähriger aus Kreuzberg fügt schüchtern hinzu: „Und ein bisschen, weil Sevtap Erener auftreten wird.“
Erener ist die diesjährige Hoffnungskandidatin der Türkei beim Grand Prix Eurovision. Sie soll erst ganz zum Schluss auftreten. Vor ihr singen andere eingeflogene Turkish-Pop-Vertreter. Alles im Play-back. Einige begeistern die Jugendlichen mit ihren nationalistischen Sprüchen.
Dann der Höhepunkt. Erener tritt auf. Sie singt ihren Song für den Grand Prix. Nur Play-back, nicht live. Der Moderator gemahnt die Jugendlichen an ihre Pflicht, das Pop-Idol mit ihren Anrufen während des Wettbewerbs zu unterstützen, damit der Preis endlich an den Bosporus geht. Dann tritt Erener ab.
Enttäuschte Mädchen fragen sich: „War das alles?“ Ja, das war alles. Sie wollten ja auch nicht wegen Erener da sein, sondern weil sie Türken sind.