Eine etwas eigenwillige Perspektive

June Browne, Schauspielerin, wird Mrs. Newton. Alice Springs, Fotografin, bleibt Mrs. Newton. Eine Autobiografie

Während der großen Depression, so beginnt June Newton ihre Autobiografie, warfen ihre Mutter, eine Freundin der Mutter und der Vermieter der Freundin ihr Geld zusammen, verließen Melbourne und kauften sich eine Farm in Kangaroo Grounds. Mehr sagt June Newton nicht zu dieser Wohngemeinschaft, die mehrere Umzüge überstand und bis zum Tod ihrer Protagonisten währte. Obwohl es bestimmt nicht uninteressant wäre, mehr über diese eher unübliche Dreieckskonstellation zu erfahren. Doch wer zu wissen glaubt, was der genaueren Aufzeichnung jener Frau wert ist und was nicht, die mit 25 Jahren Helmut Newton heiratete und mit ihm Teil des internationalen Jetsets wurde, kann bei „Mrs. Newton“, wie ihre Autobiografie heißt, seine Überraschungen erleben. Denn Mrs. Newtons Blick auf die Welt ist einigermaßen bizarr.

June Browne stand in Australien, so scheint es, am Beginn einer viel versprechenden Schauspielkarriere, als sie dem jüdischen Emigranten Helmut Newton begegnete, einem jungen Fotografen. Doch über ihre Arbeit als Schauspielerin, die sie aufgab, um ihrem Mann, der schließlich zum Starfotografen der internationalen Modepresse avancierte, nach Europa zu folgen, lässt sie sich nur wenig aus. Breiten Raum nehmen in ihrem Buch dafür sämtliche Situationen in jener Zeit ein, in denen sie Männer sexuell belästigten. Nur indirekt erzählt sie auch vom Aufstieg ihres Mannes und ihrer Entscheidung, selbst eine Karriere als Fotografin anzustreben. Unglücklich, weil unbeschäftigt, war sie schon zur Hobbymalerin geworden, als sie 1970 für den kranken Newton bei einem Fotoshooting einsprang. Als sie den Auftrag erfolgreich über die Bühne gebracht hatte, begann ihr Leben als Fotografin Alice Springs. Zweifellos war Alice Springs keine schlechte Fotografin, wie die vielen Fotostrecken in ihrer Biografie belegen. Doch wie gut war sie wirklich? Worauf zielten ihre Porträts der Berühmten, Reichen und Schönen, die oft ihre persönlichen Freunde waren?

Der Titel ihrer Autobiografie gibt Aufschluss. Alice Springs sieht sich eben zuerst als „Mrs. Newton“. Und ihre oberflächliche, merkwürdig zerstreute Sicht der Dinge ist ihrer Stellung als Mrs. Newton adäquat. Die begabte und verwöhnte Ehefrau musste nie wirklich professionell werden in ihrem Job, Aufträge akquieren und sich ihren Status erarbeiten. Das freilich gibt ihr die Freiheit, etwas abgelegenere Perspektiven ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu rücken. Warum soll es nicht wichtiger sein, über das Face lifting zu ihrem 67. Geburtstag zu berichten als über ihre Arbeit als Fotografin? Warum soll der Streit um ein Apartment in Paris und die daraus folgende Ehekrise nicht ausführlicher dargelegt werden als die Arbeitsweise ihres Mannes, die sie genau kennt und für ihren Start als Fotografin nutzt? Immerhin mündet das unkonzentrierte Geplauder der inzwischen verwitweten Mrs. Newton am Ende doch in ein hinreichend amüsantes Buch.

BRIGITTE WERNEBURG

„Mrs. Newton“. Hg. June Newton, Taschen Verlag, Köln 2004, 256 Seiten, 178 Abb., engl., 29,99 €