: That‘s Dekotainment
Macht, wer zu wenig aus seiner Wohnung macht, am Ende nicht auch zu wenig aus sich selbst? Illustrierte wie „Schöner Wohnen“ oder die boomenden „Deko-Soaps“ auf allen TV-Kanälen erklären, wie wir uns in der Welt einrichten sollen. Redaktionell betreutes Wohnen liegt im Trend. Warum eigentlich?
VON CLEMENS NIEDENTHAL
Letztlich bleibt das Zuhause der einzige Ort, ohne den das Fernsehen nicht denkbar wäre. Ja, letztlich bleibt das Zuhause der Ort des Fernsehens schlechthin. Nicht umsonst ist es ja gerade jene Privatisierung von Freizeitverhalten und Amüsement, die der Flimmerkiste immer wieder und zu Recht unterstellt worden ist. Dem Fernsehenden genügt ein Bild von der Welt. Und – so ein wohl gelittenes Klischee – ein gemütlicher Fernsehsessel.
Brachte die in den vergangenen 50 Jahren etablierte Kulturtechnik Fernsehen also die weite Welt ins Wohnzimmer, so gehen Pro7, Vox und all die anderen in diesen Tagen den umgekehrten Weg. Sie bringen das Wohnzimmer, wenn schon nicht in die Welt, so wenigstens in den Fernsehapparat. „S.O.S. – Style & Home“ oder „Wohnen nach Wunsch“ heißen jene Sendungen, die sich keck „Deko-Soap“ nennen und ihr Publikum das schönere Wohnen lehren wollen.
Und genau das will auch der Interior-Designer Rick Mulligan, dessen gestaltungswilliges TV-Format „Ricks Wohnwelten“ (ZDF) am 17. April in die zweite Staffel gehen. Vom Stilwandel wird dann wieder ziemlich oft die Rede sein. Und vom ungenutzten Potenzial, das in Etagenwohnungen und Reihenhäusern schlummert. Könnte die Sache mit dem ungenutzten Potenzial – pars pro toto – nicht auch auf ihre Bewohner zutreffen? Macht, wer zu wenig aus seiner Wohnung macht, am Ende nicht auch zu wenig aus sich selbst? Ein beklemmender Verdacht legt sich auf die Backsteinbücherregale und die schwarz furnierten Hi-Fi-Möbel dieser Republik.
In einer Zeit aber, in der das Fernsehen suggeriert, patente Hilfe in allen Lebenslagen und auf alle Lebensfragen anzubieten, taugt eben auch das Wohnen für die dann nicht mehr nur sprichwörtliche Couch.
Denn: Wer sich von Biolek in die komplexe Kulturtechnik des Kochens einweisen lässt, wer sich in Fragen der Erziehung von Frau Kallwass beraten lässt, wer seine Sinnkrisen bei Fliege verhandelt und seine sexuelle Identität nachts mit Herrn Domian debattiert – der wird sich auch, so die programmatische These der Sendeanstalten, bezüglich der häuslichen Raumgestaltung medial unter die Arme greifen lassen. Redaktionell betreutes Wohnen sozusagen.
Nachdem der menschliche Körper Quadratzentimeter um Quadratzentimeter abgefilmt und versendet wurde, nachdem ihm längst sämtliche Piercings und Tätowierungen, all die Nasenkorrekturen und Silikonimplantate aus den Rippen geleiert wurden, wendet sich das Medium dem intimsten Ort überhaupt zu – unserem Zuhause. Und kommt dabei zur selben Erkenntnis, die es auch schon bei der Musterung unserer Körper gewonnen hat: Eigentlich könnte alles schöner, besser, moderner ausschauen.
Irgendwas fehlt uns immer, aber eigentlich fehlt uns nur der Pfiff – zumindest aber ein pastellgelb getünchtes Badezimmer, ein terrakottafarbener Sofaüberwurf, ein mit der Serviettentechnik bedrucktes Kommödchen für die alltäglichen Kleinigkeiten. Und wenn sich dann noch immer kein Behagen eingestellt hat, müssen wohl unsichtbare Kräfte am Werk sein – es ist kein Zufall, dass ostasiatischer Plunder wie Feng Shui um sich greift. „Wohnphilosophie“ heißt das dann.
Denn weit mehr als einer moralischen oder ethischen Norm folgt unsere Medienmoderne ästhetischen Übereinkünften. Und ebenjene Übereinkünfte sind es, von denen „S.O.S. – Style & Home“ (Pro 7), „Wohnen nach Wunsch“ (Vox) oder „Zimmer fertig“ (HR) erzählen. Nicht zu vergessen „New Life – Mein neues Leben“ (ebenfalls Pro 7).
Ein Format, in dem die als „Stil-Ikone“ angepriesene Barbara Becker quarterlifekriselnden Single-Frauen nicht nur den Inhalt des Kleiderschranks erneuert, sondern auch gleich die Junggesellinnenbude drum herum. Galt in den 90er-Jahren noch kühle Leere als letzter Schrei, muss heute alles im „Sex and the City“-Look erstrahlen.
Das Wohnen, so meinte Martin Heidegger einmal, das Wohnen sei letzten Endes gleichbedeutend mit dem Sein. Ich wohne, also bin ich. Wer aber ist man, wenn man das Wohnen, wenigstens aber das Einrichten, lieber den ProtagonistInnen des „Dekotainments“ überlässt? Gestalten wie Sonya Kraus zum Beispiel, der ziemlich blonden Heimwerkerkönigin von Pro 7.
Zumindest ist man hineingeworfen in eine passgenaue Ikea-Welt, heimisch geworden in Katalog-Ansichten, genauso austauschbar wie vermeintlich „up to date“. All das sieht aus wie die Kulissenarchitektur aus dem Vorabendprogramm – und soll eben genau dies sein: Rahmenbedingung für ein Leben, dessen Selbstverortung nicht nur in ästhetischen Fragen von der Mattscheibe diktiert wird. Wie etwa kopiere ich den Jennifer-Aniston-Look mit preiswerten Schnäppchen aus dem H&M-Sortiment? Man braucht nicht lange zu suchen, um ein Programmangebot zu finden, das sich dieser oder ähnlichen Fragen bereits angenommen hat.
Zurück zum Ikea-Katalog: Auch das schwedische Möbelhaus hat sich des redaktionell betreuten Wohnens längst angenommen. Gerade hat eine neue Ausgabe des Ikea Room Magazins den Weg in den Zeitschriftenhandel gefunden. Und konkurriert dort mit knapp mehr als 30 ähnlichen Heften (s. Kasten).
Manche darunter sind Klassiker, wie Schöner Wohnen, in dem in anderen, vielleicht besseren Zeiten auch die kritischen Städtebaudiskurse von Ernst May oder Alexander Mitscherlich verhandelt wurden. Die meisten aber sind so junge Titel wie Lisa Wohnen oder living & more. Magazinformate, die nichts als polierte Oberflächen präsentieren, als wären sie mit „Sidolin Streifenfrei“ behandelt. Orientierungswissen kann man so etwas in unseren wackeligen Zeiten nennen, in denen der richtige Stuhl offensichtlich für den ausreichenden Halt sorgen soll.
Tine Wittler immerhin, die schon ob ihrer Leibesfülle nicht in das Sonya-Kraus-Klischee passen will, vermag es hin und wieder, Ausnahmen von dieser Regel zu statuieren. Ihr „Wohnen nach Wunsch“ (Vox) widmet sich auch den Wohnsituationen, die wirklich Wünsche offen lassen. In denen nichts an „Sex and the City“ erinnert, manches aber an die kalten, anonymen, durchschnittlichen Wohnsilos aus der „Rappelkiste“.
In solchen Momenten wird die „Deko-Soap“ zur Sozialarbeit. Und zum voyeuristischen Blick in ein Kinderzimmer, das auf sieben Quadratmetern tatsächlich nicht viel Raum lässt zwischen dem Wohnen und dem Sein. Kleine „Nischen zum Zurückziehen“ will Wittler dort schaffen. Aber wahrscheinlich ist das Fernsehen hierfür der falsche Ort.
Schließlich ist das Fernsehen nicht das Leben, das Wohnen aber vermutlich wirklich ein Teil des Seins. Zumindest aber eine Geschmackssache, über die selbst zu urteilen man sich ruhig erlauben sollte.