in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Leere am Saisonende

Schöne Grüße an den Vater

Bevor Maxim Biller sich der Literatur verschrieb und mit seinem letzten Roman zu einem verbotenen Autor wurde, dessen Bücher jedoch immer noch in der Buchhandlung liegen (komplizierte Sache das), wurde er leidlich berühmt durch eine wunderbar betitelte Kolumne, die „100 Zeilen Hass“ hieß. Hass ist ein starkes Gefühl, und es gibt ihn in Steigerungsformen – oder wie Jean Paul sagt: „Der größte Hass ist, wie die Tugend und die schlimmsten Hunde, still.“ Womit der Rahmen der Verzweiflung, die die ablaufende Bundesligasaison bei mir ausgelöst hat, schon abgesteckt ist. Ihr Ende naht und der Griff geht zum Zitatenlexikon, was stets ein Ausweis gähnender Leere in den Köpfen aller Schreiberlinge ist. Im besten Fall wird eine Nicht-Idee auf diese verzweifelte Weise in ihrer ganzen Substanzlosigkeit überzuckert, im schlechteren Fall geschieht nicht einmal das.

Wobei ich zur Entschuldigung anführen darf, dass ich allein in den gerade einmal fünf Monaten dieses Kalenderjahrs 30 Spiele gesehen habe, und da ist das Viertelfinale im Mittelrhein-Pokal zwischen Fortuna Köln und Viktoria Köln (1:0 nach Verlängerung) noch gar nicht mitgezählt. Doch nicht um die Frage der Übersättigung soll es hier gehen, denn im letzten Jahr dürfte ich bei gut hundert Fußballspielen gewesen sein, ohne mich auch nur einmal daran erinnert zu haben, dass auf meinem Buchregal so etwas wie ein Zitatenlexikon seine vergessene Existenz fristete. Grausam machte die ganze Sache nicht überbordende Quantität, sondern unterbordende Qualität.

Dabei möchte ich gerne noch einmal auf das Kölner Lokalderby im Mittelrhein-Pokal zurückkommen. Nicht als Beispiel für mangelnde Klasse, denn die ist auf dem Niveau der vierten Liga selbstverständlich, sondern als Beispiel für gelungenen Fußball. Nicht nur der Frühlingsabend war lauschig, sondern auch die Umstände so angenehm bizarr, dass man ganz zufrieden aus dem Südstadion nach Hause gehen konnte. Es gab zu bestaunen, wie die ehemaligen Bundesligaspieler Sven Demandt und Mathias Hönerbach ihr Übergewicht über den Platz schleppten. Jens Rehhagel, der Sohn von Otto Rehhagel, führte zudem sein übersichtliches Talent vor. Der Platzverweis gegen ihn war berechtigt, aber der Schiedsrichter hätte die rote Karte nicht mit dem Satz bekräftigen dürfen: „Und bestellen sie ihrem Vater schöne Grüße.“

Lustig war’s auch auf den Rängen, wo der Fan-Block der Fortuna mit dem Einpeitscher am Megafon ein wenig San-Siro-Stadion spielte, und auf dem Heimweg gab es kleine Scharmützel zwischen den Anhängern des rechtsrheinischen und des linksrheinischen Klubs. Wobei die Sache durch Rufe wie „Ihr habt doch schlechten Sex mit euren Frauen“ ziemlich angefacht wurde.

So schön doof darf Fußball gerne sein, denn Real Madrid gegen Manchester United darf man im wirklichen Leben nicht erwarten. Was ich auch nicht tue, doch nur mühsam kann ich mich erinnern, welche Spiele mich zuletzt irgendwie bewegt haben. Ein toller Sieg von Mainz in Köln, eine großartiges Pokalspiel zwischen Bochum und Kaiserslautern, ein faszinierender Auftritt von Tschechien in Holland versinken schon fast in einem Meer der Ununterscheidbarkeit. Auch so richtig schlecht wie im Kölner Südstadion kann schön sein, aber die meisten Bundesligaspiele der letzten Monate, die ich gesehen habe, waren Exerzitien verkrampften Halbkönnens. Halbgute Spieler quälten sich durch Vorgaben halbguter Trainer, und nach Abpfiff schaute man in zu viele verzweifelte Gesichter. Kein Mut zur Schönheit, nirgends, die Bundesliga tat so, als würde sie die Krise des Landes auf dem Rasen verdoppeln wollen. So wenig Spaß hat es selten gemacht, und inzwischen ermüdet mich selbst die Frage, warum das eigentlich so ist.

„Die beste Brücke zwischen dem Ufer der Verzweiflung und dem Ufer neuer Hoffnung ist eine gut durchschlafene Nacht“, sagt eine so genannte Volksweisheit, wie mein Zitatenschatz behauptet. Das stimmt. In diesem Fall dürfen es wohl auch ein paar Nächte mehr sein.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber