Russisches Roulette

Ostsee in Öl: Transporte mit unsicheren Billigtankern sollen auf Druck Russlands erleichtert werden. Umweltschützer befürchten Ökokatastrophe

von sven-michael veit

Herbe Rückschläge beim Schutz der Ostsee und anderer besonders empfindlicher Meeresgebiete befürchtet die Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF). Russland wolle mit Unterstützung der Reedereinationen Panama und Liberia auf der Tagung der internationalen Schifffahrtsorganisation IMO nächste Woche in London einen hohen Schutzstatus für die Ostsee verhindern, erklärte der WWF gestern in Bremen.

Hinter dem Vorstoß stehe vermutlich das Interesse, mit Billigschiffen Öl durch die Ostsee und durch westeuropäische Gewässer zu transportieren. Ein Großteil der Schwerölproduktion Russlands wird mit zumeist veralteten Tankern durch das vielbefahrene Binnenmeer verschifft. Als besonders gefährlich gelten Umweltschützern die so genannten Einhüllentanker, aus denen bei Kollisionen oder Havarien Öl ungehemmt austreten kann. Erst in einigen Jahren müssen sie durch doppelwandige Tanker mit höherem Sicherheitsstandard ersetzt werden.

Das Vorgehen hätte „katastrophale ökologische Auswirkungen“, so der WWF-Experte für Internationalen Meeresschutz, Stephan Lutter, und würde die Schutzbemühungen zu einem „Russischen Roulette“ machen: „Das Plädoyer Russlands ist von einer blanken Ignoranz gegenüber der Umwelt getragen und von dem wirtschaftlichen Interesse, Öl in großem Stil mit Billigschiffen durch die Ostsee und westeuropäische Gewässer zu transportieren.“

Die IMO will über einen höheren Schutzstatus [Particularly Sensitive Sea Area (PSSA)] für besonders empfindliche Seegebiete beraten. Außer der Ostsee und Teilen der Nordsee gehören dazu auch die Randgewässer des Atlantiks zwischen Schottland und den Kanarischen Inseln. Eine für diese Regionen bereits vereinbarte Schutzregelung könnte bei einem Erfolg der russischen Initiative aufgeweicht werden, befüchtet der WWF.

Der PSSA-Status verlangt von Kapitänen und Reedern spezielle Sicherheitsmaßnahmen beim Passieren der in den Seekarten gekennzeichneten Meeresgebiete. Für die Ostsee verlangen die Umweltschützer unter anderem das Einrichten von Verkehrstrennungsgebieten, eine Lotsenpflicht für Zonen mit schwieriger Navigation sowie Meldepflichten für bestimmte Güter und Schiffstypen.

Aus Sicht des WWF könnten sich Umweltkatastrophen wie nach der Havarie des Tankers „Prestige“ im vergangenen Jahr vor der spanischen Küste jederzeit auch in der Ostsee ereignen. Dem „Prestige“-Unglück waren nach Schätzungen mindestens 300.000 Seevögel sowie ungezählte Wassertiere zum Opfer gefallen.

In der Ostsee seien täglich Hunderte von Öltankern unterwegs, rund 15 Prozent des weltweiten kommerziellen Schiffsverkehrs mit steigender Tendenz führen durch das Binnenmeer. „In dem Maße, wie Russland seine Öltransporte auf der Ostsee dramatisch expandiert, brauchen wir spezielle Schutzmaßnahmen für dieses besonders empfindliche Meeresgebiet, das nur alle 30 Jahre sein Wasser austauscht und mit seinem besonders niedrigen Salzgehalt viele seltene Arten beheimatet“, so Lutter.