: Das überragende Ereignis
Der Klub Langer Menschen feiert in Berlin sein 50-jähriges Bestehen. Die überdurchschnittlich Großen klagen über schrumpfende EU-Normen und freuen sich auf ein Tänzchen mit Partnern auf Augenhöhe
Es gibt Klubs, in denen die wahre Größe zählt und das geeinte Europa an seine Grenzen stößt. Italiener, Spanier, Griechen – sie alle haben keine Chance beim Europatreffen der Superlative. Denn Südländer sind einfach zu klein für den Klub Langer Menschen (KLM), der seit gestern in Berlin für Aufsehen sorgt. Rund 600 lange Kerls und Ladys treffen sich hier eine Woche lang, um das 50-jährige Jubiläum ihres Zusammenschlusses zu feiern – als buchstäblich überragendes Ereignis neben dem ökumenischen Kirchentag und dem Fußballpokalfinale.
Willkommen im Klub heißt es, wenn die Herren mehr als 1,90 Meter messen und die Damen es mindestens auf 1,80 bringen. Wobei diese Eintrittsgröße unter Insidern fast als Bonsai-Wert gilt. Ein echter KLM-Fan ist zwischen 1,95 und 2,05 Meter groß, der Spitzenwert der Herren liegt zur Zeit sogar noch 20 Zentimeter über der Zweimetermarke. Und so werden es vor allem Niederländer, Skandinavier und eben Deutsche sein, die sich beim Europaball im Hotel Intercontinental die Hand reichen – bei ihrer Riesenfete.
Der Ball ist für Ivonne Winkler von Mohrenfels – Messlatte 1,85 Meter – ohnehin das Größte. Denn beim Tanzen hat die 37-jährige Juristin, die gern Absatzschuhe trägt, Partner auf Augenhöhe lange vermisst. Im Berliner KLM-Klub fand sie nicht nur Tanzpartner, sondern auch ihren Ehemann mit dem Gardemaß von 1,93 Meter.
„Der Klub ist schon ein kleiner Heiratsmarkt“, sagt Mohrenfels. Denn „Standard-Männer“ von 1,80 Meter hätten noch immer ein wenig Angst vor großen Frauen. „Da funktioniert der Beschützerinstinkt nicht“, mutmaßt sie. „Und eine lange Lady locker über die Schwelle zu tragen, das ist eben auch nicht drin.“
Allerdings droht der Klub, seine Exklusivität zu verlieren. Galten seine vier Münchner Gründer, allesamt Zweimetermänner, 1953 noch als Riesen, ist diese Größe heute fast kein Grund zum Anstarren mehr. Es gibt derzeit mehr als vier Millionen Deutsche, die es auf mehr als 1,80 Meter bringen. Das Berliner Robert Koch-Institut hat errechnet, dass 18-jährige Jungs heute durchschnittlich 1,78 Meter groß werden. Damit überragen sie ihre Väter im Mittel um sechs Zentimeter. Auch die Mädchen sind in die Höhe geschossen, durchschnittlich auf 1,65. Verglichen mit dem Jahr 1900 legten die Deutschen sogar bis zu 20 Zentimeter zu.
Mediziner sehen die Gründe dafür vor allem in besserer Ernährung und Gesundheitsvorsorge. Allerdings ist das Ende der Fahnenstange erreicht, das genetische Wachstumspotenzial ist nach Meinung der Wissenschaftler ausgereizt. Denn Riesen wie der 2,44 Meter große Mounir Fourar aus Algerien, der als größter Mann der Welt gilt, haben große Probleme mit Knochen, Herz und Kreislauf.
Die organisierten langen Deutschen wollen ihre Interessen künftig besser durchsetzen. „Kleidung oder Schuhe zu finden ist immer noch schwierig und auf jeden Fall teuer“, berichtet Ivonne Winkler von Mohrenfels. „Die deutsche Industrie hat bisher mehr die Kleinen und die Dicken entdeckt, da müssen wir mehr Druck machen.“ Bisher zeigten sich nur die USA in diesem Punkt als Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Auf ein vereintes Europa sind die nordischen Großen beim Jubiläumstreffen nicht alle gut zu sprechen. „Durch die kleinen Südländer schrumpfen auch die EU-Normen“, bedauert die Berlinerin Mohrenfels. „In Autos wird es für uns künftig enger“. DPA