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Archiv-Artikel

Schädel lügen nicht

Keine Kunst schützt vor dem Altern. Aber seinerseits bietet das Altern existenzielle Motive für Helga Schubert, eine 85-jährige Bewohnerin des „Haus im Viertel“. In einem Mehr-Generationen-Atelier erforscht sie die eigene Metamorphose

Von HB
Das entschwindende Gesicht, ein Schädel: „Zustände kann man nicht festhalten.“

Die Mieter ganz oben links wollten doch lieber ihr Segelschiff behalten. Genauer gesagt, das goldgerahmte Bild eines stolzen Viermasters. Der zieht jetzt allein seine ölig-realistische Bahn auf den Fluren und Galerien des „Haus im Viertel“, dessen Atmosphäre ansonsten zurzeit von Helga Schuberts Arbeiten bestimmt wird.

Die Künstlerin, Jahrgang 1917, bewegt ein Thema, das nahe liegt, aber gerade deswegen nicht jedem hier schmeckt: Altern. Frau Schubert hat 60 MitbewohnerInnen jenseits der 60, die sich, zentral im Steintor, ein lichtdurchflutetes Haus mit vielen kleinen Apartments teilen.

Ein idyllischer Ruhesitz. Doch auf dem Gang zu Helga Schuberts Wohnung gerät man schon mitten in die Metamorphose: Ein Gesicht, dargestellt auf einer Reihe kleinformatiger Bilder, dunkelt, verwischt, entschwindet.

Warum? „Weil man Zustände nicht festhalten kann.“ Helga Schubert malt seit fünf Jahren – vorher hat sie Steine behauen, was nach einer schweren Operation nicht mehr möglich war. Aber sie kann sich noch, mehrmals die Woche, nach Gröpelingen aufmachen, wo sie mit vier anderen KünstlerInnen einen Arbeitsraum teilt.

In diesem Mehr-Generationen-Atelier modelliert sie ihre Themen nun also in Farbe. Am Anfang stand ein Selbstporträt – das umgehend verworfen wurde. Denn: „Über das Erforschen meines eigenen Alters hinaus geht es mir um den grundsätzlichen Prozess. Und dazu brauche ich keinen Spiegel.“ Ja, im Prinzip sei es schon noch ein weibliches Gesicht, das den Weg zu ihrer Wohnungstür weist, aber „auch diese Unterschiede verwischen immer mehr“.

Helga Schuberts Alterswerk hängt und steht in sonnigem Gewächshausambiente. Kleine Stege und Brücken durchziehen den glasüberdachten Innenhof des „Haus im Viertel“, von rundum laufenden Balustraden schaut man auf tropische Haine hinunter. Viel Platz für Bilder und Bildhauereien. Auf ihrem Lieblingsformat 1x1 Meter („ein Quadrat gibt keine Hierarchie vor“) hat Helga Schubert Veränderungsprozesse in allen Schattierungen sichtbar gemacht: embryonale Strukturen und dunkel mäandernde Formen, aus denen kleine Türkisfunken blinken. Oder Monochromes, das durch das Ablegen einer Farbschicht auf der anderen entstanden ist.

„Das stimmt mit meiner Befindlichkeit überein.“ Wieder so ein einfacher, deutlicher Satz von Frau Schubert. Sie sagt auch; „Ich bin Verfestigungen gegenüber skeptisch.“ Und nennt „Auflösung“ als Voraussetzung für „Weiterentwicklung“.

Also weiter, man wandert zu verwittert wirkenden Flächen. Durchgetrocknete Farbverwerfungen und Reste von Spachtelmasse geben ihnen eine raue, dreidimensionale Anmutung, auch Sand scheint in die Farbe gemischt. Das beeindruckendste Stück der Ausstellung hat – wieder ein Zugeständnis an die MitbewohnerInnen – seinen Platz in Helga Schuberts Privaträumen: ein großer, steingemetzter Skelettkopf.

Er thront neben dem Lesesessel, offenbar ein treuer Begleiter seiner Schöpferin. Es ist nicht der typische Totenschädel früherer Gelehrtenschreibtische, der anatomischen Interessen oder als Warnung vor irdischer Eitelkeit diente. Seine weißen Augenhöhlen haben eine andere Ausstrahlung: Irgendeine Mischung aus freundlicher Unerbittlichkeit, Klarheit und Präsenz. HB

Zu besichtigen im „Haus im Viertel“, Seilerstraße 13/14. Kontakt über ☎ (0421) 33 490 (Ursula Schnell, Bremer Heimstiftung) und (0421) 794 84 18 (Helga Schubert)