: Aus Angst vor den Eltern Airport lahm gelegt
„Ich bin al-Qaida“ – mit fingierten Bombendrohungen löste die 28-jährige Marina B. Terroralarm auf dem Düsseldorfer Flughafen aus. Nun muss sie Millionenschaden bezahlen. Ein Geständnis in letzter Minute verhindert Gefängnisstrafe
DÜSSELDORF taz ■ Mit starkem ausländischen Akzent dringt eine gepresste Stimme aus dem Telefon: „Ab 12 Uhr geht Bombe hoch. Terminal A und B, Condor, LTU. Räumen Sie Flughafen. Menschen sterben sonst.“ Dutzende solcher Anrufe erreichen den Flughafen, die Polizei und ein Reisebüro in Düsseldorf. Ein Telefonat endet mit dem Satz: „Ich bin al-Qaida.“ Die Behörden nehmen die Drohungen ernst und evakuieren 15.000 Menschen. Am letzten Tag der Sommerferien muss der drittgrößte deutsche Airport fast sieben Stunden gesperrt werden. Die Folge: 200 gestrichene Flüge, 146 Verspätungen. Der bezifferbare Schaden: rund 1,4 Millionen Euro. Eine Bombe findet sich nicht an jenem 14. September 2003.
„Sie wird den Schaden in ihrem Leben nicht mehr gutmachen können“, sagte der Vorsitzende Richter am vergangenen Donnerstag. Marina B. werde von nun an „ständig an der Armutsgrenze leben“. Das ist die Strafe für das Chaos, das die 28-jährige Studentin ausgelöst hatte. Trotzdem hat Marina B. noch Glück: Sie muss nicht für drei Jahre ins Gefängnis, wie es die Anklage gefordert hatte. Wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten verurteilte das Düsseldorfer Landgericht sie zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. „Das Urteil hat menschliche Züge“, befand ihr Anwalt. Dass sie in Freiheit bleibt, verdankt Marina B. einem in letzter Minute abgelegten Geständnis, mit dem sie eine völlig neue, glaubwürdige Begründung für ihre Tat lieferte.
Die Drohanrufe hatte sie zwar schon im Februar zugegeben. Doch die Geschichte, die sie zunächst erzählte, war erlogen: Ihr lettischer Exfreund habe sie mit einem Messer gezwungen. Das sei völlig unglaubhaft, befand eine Psychologin. „Wie die Figur eines bösen Zauberers“ habe sich die Angeklagte mit dem bewaffneten Exfreund eine Art Fantasiefigur geschaffen, der sie alles Negative zugeschrieben habe.
Hätte ihr Anwalt nicht kurz vor seinem geplanten Schlussplädoyer vorletzte Woche einen Kreislaufzusammenbruch erlitten, wäre Marina B. wohl mit dieser Version in den Knast gewandert. So jedoch bekam die zierliche Frau, die wesentlich jünger wirkt, als sie ist, noch eine Woche Bedenkzeit. Und die nutzte sie – auch wenn es ihr sichtlich schwer fiel, saßen doch ihre kroatische Familie, die im Rheinland lebt, und ihr polnischer Verlobter im Zuschauerraum. „Ich stand zwischen meinen Eltern und meinem Freund“, berichtete Marina B. „Ich wollte meinem Freund eine gute Freundin sein – aber gleichzeitig meinen Eltern eine gute Tochter.“ Ein Konflikt, den die Bauingenieurstudentin, die akzentfrei Deutsch spricht, nur durch Lügen meinte lösen zu können: Denn ihre Familie missbilligte ihre Liebesbeziehung, „weil er kein Kroate ist“. Also habe sie jahrelang eine Art Doppelleben geführt. Einerseits wollte sie als moderne, selbstbewusste Frau in der Bundesrepublik leben, andererseits wurde sie von in ihrer Familie in die traditionelle Rolle einer kroatischen, streng katholischen Frau gedrängt. Ihr bisheriges Leben sei eine „große Scheiße“ gewesen.
Schon gar nicht wissen durften die Eltern, dass sie mit ihrem Freund auch noch in die Ferien fuhr. „Jeder Urlaub war die reinste Hölle.“ Jeden Tag habe sie heimlich ihre Mutter angerufen, ihr vorgelogen, sie sei in Mettmann, beim Einkaufen. Dem Freund konnte sie die Situation nicht erklären. „Wie hätte ich ihm beibringen sollen, dass ich immer noch der Familie hinterherlaufe, damit sie mich anerkennt?“ Unmittelbar vor der nächsten Reise habe sie daher nach einem Vorwand gesucht, den Urlaubsflug abwenden zu können. So sei sie auf die fatale Idee mit den Bombendrohungen gekommen. „Ich dachte, wenn die Leute Angst haben, würden sie ihre Flüge stornieren. Dann könnte ich mich anschließen.“ Ihre Hoffnung war vergebens: „Es hat niemand storniert.“ Also flogen Marina B. und ihr Verlobter mit fast zwölf Stunden Verspätung doch nach Teneriffa. Als sie zurückkamen, war ihr die Polizei bereits auf der Spur.
„Ich war in einer Lage, die keiner hier verstehen kann“, sagte Marina B. vor Gericht. Eindringlich entschuldigte sie sich für ihre Tat. Laut Gutachten besitzt sie eine neurotisch strukturierte Persönlichkeit. Sie sei unsicher und konfliktscheu, andererseits aber auch manipulativ veranlagt, so der Richter. Sein mildes Urteil begründete er damit, sie habe zwar bei ihren Anrufen eine hochkriminelle Energie an den Tag gelegt, aber während des Prozesses eine Entwicklung durchgemacht: „Sie ist fähig dazu, ihr Leben neu zu gestalten.“
Auf Marina B. kommen nun horrende Schadensersatzforderungen zu. „Man muss ein Zeichen setzen, dass man so etwas nicht einfach machen kann“, sagte ein Vertreter der Fluglinie LTU. Die Staatsanwaltschaft will sich nicht mit der Bewährungsstrafe abfinden und erwägt, in die Revision zu gehen. „So hat das keine abschreckende Wirkung“, kommentierte ein Behördensprecher das Urteil. PASCAL BEUCKER