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Archiv-Artikel

Es ist was faul im Inselstaat

Am Wochenende werden die Wahlen in Indonesien offiziell beendet und alle Stimmen ausgezählt sein. Mit rechten Dingen geht es nicht zu: Politiker und Geschäftsleute klagen die Medien in den Ruin

VON ANETT KELLER

„Die Freiheit der Medien ist ein Bürgerrecht“ – „Zensur oder Sendeverbote finden nicht statt“. Diese Grundsätze sind nachzulesen im indonesischen Mediengesetz von 1999. Soweit die Theorie. In der Praxis sehen sich indonesische Pressevertreter derzeit einer Klagewelle ausgesetzt, die beispiellos in der Geschichte des erst seit fünf Jahren aus der Diktatur entlassenen Landes ist.

Das bislang spektakulärste Urteil erging, von der westlichen Presse beinahe unbemerkt, vor einem Monat in Jakarta. Eine der größten Tageszeitungen, Koran Tempo („Koran“ heißt Zeitung), wurde zu einer Schadenersatzzahlung von einer Million US-Dollar verurteilt. Der Kläger Tomy Winata, ein Firmen-Tycoon mit besten Verbindungen zu Politik und Militär hatte die Zeitung wegen Verleumdung verklagt, weil sie ihm die Beteiligung am Glückspiel nachgewiesen hatte. Koran Tempo erscheint im Verlag, der auch die wöchentliche Zeitschrift Tempo, Indonesiens kritischstes und unter Expräsident Suharto verbotenes Nachrichtenmagazin, herausgibt. Neben der Millionenstrafe muss die Zeitung in acht anderen Tageszeitungen und sechs Magazinen sowie zwölf Fernsehsendern an drei aufeinander folgenden Tagen Entschuldigungen schalten. Verhandelt wurde nach einem Paragrafen des Strafgesetzbuchs, der noch aus der holländischen Kolonialzeit stammt.

Papierne Freiheit

„Wir alle wissen, wie bestechlich unsere Gerichte sind“, sagte der Tempo-Journalist und Generalsekretär der unabhängigen Journalistenvereinigung AJI, Nezar Patria, nach dem Urteil. Zwar erfreuten sich in der Post-Suharto-Ära indonesische Journalisten einer Freiheit, die von Beobachtern oft als einmalig im asiatischen Vergleich bezeichnet wurde. Doch kam zu diesem Urteil nur, wer die vielen kleinen Vorfälle übersah, die es im ganzen Land immer wieder gab und gibt. Nur eine Minderheit der Journalisten weist die mit Geld gefüllten Umschläge zurück, die von Politikern und Firmen zu Pressekonferenzen oder an Feiertagen überreicht werden.

Ruinöse Strafen

Neu ist dagegen die Qualität der Klagen gegen große, landesweit publizierende Medien – und die Höhe der Strafen. Allein gegen die Tempo-Gruppe sind weitere Klagen mit einem Streitwert von 40 Millionen US-Dollar anhängig, fünf davon ebenfalls von Tomy Winata – sollten auch die anderen Richter ähnlich wie ihre Kollegen im Bezirksgericht Jakarta-Süd entscheiden.

Denn dort hatten die Gesetzeshüter im vergangenen Herbst schon einer anderen Klägerin zu ihrem fragwürdigen Recht verholfen. Es handelte sich um niemanden Geringeres als Präsidentin Megawati Sukarnoputri, die sich von mehreren Schlagzeilen der Tageszeitung Rakyat Merdeka (Freies Volk) gestört gefühlt. Im Zuge der Proteste gegen geplante Benzinpreiserhöhungen hatte das Blatt die Slogans von Demonstranten zur Titelzeile erhoben: „Mega stinkt aus dem Mund nach Diesel“ – „Warum gerade Diesel?“, hatte der Richter gefragt; der Gatte der Präsidentin besitzt mehrere Tankstellen – deshalb. Der Redakteur wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt, ausgesetzt auf zwölf Monate Bewährung – und somit ruhig gestellt für die derzeitigen Wahlen.

Es ist nicht die Freiheit, Menschen nach Belieben beleidigen zu können, die die Journalisten fordern. Sie mahnen nur an, für Fälle dieser Art ein Prozedere anzuwenden, wie man es von einem Land erwarten könnte, das sich Demokratie nennt. Gegendarstellungen, Leserbriefe, Klagen vor dem Presserat zum Beispiel. Dieses Gremium existiert zwar, wird aber vom Staat systematisch finanziell ausgehungert. Auch der Chefredakteur von Rakyat Merdeka war im Herbst zu zehn Monaten Bewährung verurteilt worden. Er hatte eine Karikatur veröffentlicht, die den wegen Veruntreuung von fast fünf Millionen US-Dollar zu drei Jahren Haft verurteilten Parlamentspräsidenten Akbar Tandjung zeigte – ohne Kleider und vor Schweiß triefend. Die Richter begründeten das Urteil mit dem „Angriff auf den guten Ruf mittels eines unpassenden Bildes“.

Der Mann mit dem „guten Ruf“ ging in Revision und wurde vom Obersten Gerichtshof von allen Vorwürfen frei gesprochen.