„Abenteuer ist mir sehr, sehr wichtig“

Eine absurde Mischung aus Sport und Abenteuer als neue Variante des Reisens und Entdeckens. 46 Teams aus 15 Ländern sind Mitte Mai nach Aviemore, Schottland, gereist. In den schottischen Highlands geht es um Zeiten und Siege. Und um die Qualifikation zum knallharten Raid Gauloises

von FRANK KETTERER

Das Wochenende beginnt mit Strapazen, und es wird mit ihnen enden. Und dazwischen wird es um nichts anderes gehen, als sich zu schinden, ein bisschen zu leiden auch, vor allem aber: seine Grenzen auszuloten. Mal wird es Aufgabe sein, einen Berg hinaufzurennen und wieder hinunter, mal kilometerweit mit dem Mountainbike über Stock und Stein zu brettern. Dann wird es gelten, einen tiefen, dunklen See zu durchpaddeln, zuerst mit einem Kanu, später auch noch mit einem Seekajak, was die Sache nicht einfacher macht. Schließlich wird es darum gehen, sich über einer Felsschlucht abzuseilen, 25 Meter tief, mindestens, und mitten hinein in einen eiskalten Gebirgssee. Wieder wird ein Stück Weg mit dem Mountainbike zurückzulegen sein und wieder ein Berg zu erklimmen, bevor der nächste See wartet und mit ihm die nächste Kanutour. Zwei mühsame Tage und eine kurze Nacht, insgesamt 14 Prüfungen lang. Es wird dabei um Tempo gehen und um die Zeit – und um das Zusammengehörigkeitsgefühl, den Teamgeist. Denn nur wer zusammenhält, wird die Strapazen unbeschadet und schnellstmöglich überstehen. Es wird ein Abenteuer sein und Sport zugleich, eine fast schon absurde Mischung aus beidem, die man Abenteuersport nennt. Oder, griffiger: Adventure Race. In diesem speziellen Fall: X-Adventure.

46 Teams aus 15 Ländern sind aus diesem Grunde an diesem Wochenende Mitte Mai nach Aviemore, Schottland, gereist, um sich dort, in der Schönheit des Hochlands, der Highlands, den mannigfaltigen Strapazen zu stellen. Unter anderem erklommen werden der 1.343 Meter hohe Ben Nevis, Schottlands höchster Berg, der jetzt noch schneebedeckt ist; durchpaddelt wird Loch Ness, Schottlands tiefster und sagenumwobenster See. „Die Regeln für das Rennen“, sagt Lotta Richter vom Organisationsteam des X-Adventure, „sind mehr oder weniger einfach.“ Ein Team – es wird ausschließlich in Teams gewertet – besteht aus drei Männern und einer Frau, jeweils drei von ihnen müssen sich den unterschiedlichen Prüfungen stellen. Vorgeschrieben werden nur Start und Zielpunkt der jeweiligen Etappe– und die Fortbewegungsart. Welchen Weg eine Mannschaft von Punkt A nach B wählt, bleibt hingegen den Teams überlassen. Die Zeit wird erst gestoppt, wenn die komplette Mannschaft im Ziel ist. „Ein Team ist immer nur so gut wie das schlechteste seiner Mitglieder“, nennt Lotta Richter eine Faustregel. So geht das Etappe für Etappe, zwei Tage lang, die Prüfungen nur unterbrochen von einer halbstündigen Pause, die eingeführt wurde, um die allergrößte Erschöpfung in Zaum zu halten und Unfälle zu vermeiden.

Mario und sein österreichisches Salomon-Carinthian-Team werden in den schottischen Highlands weder mit Erschöpfung noch mit Unfällen zu tun haben, zu lange und viel zu gewissenhaft haben sie sich auf das Rennen vorbereitet. Außerdem hat Mario, dessen drahtiger muskulöser Körper von Sehnen durchzogen ist, eine Menge Erfahrung mit solchen Rennen, was kein unwesentlicher Faktor ist. Der Event in Schottland ist das 15. Adventure Race, an dem der Ausbilder für Bergführer im österreichischen Bundesheer teilnimmt; davor hat sich der 41-Jährige als Extrembergsteiger einen Namen gemacht. Auch Teamkamerad Hubmann, genannt Hubi, stammt aus der Alpinszene; Ulli, die Frau im Team, und Michael wiederum waren Mitglieder der österreichischen Nationalmannschaft im Orientierungslauf. Mit dem Kompass umgehen und Karten lesen können ist sehr wichtig, um von Punkt A nach B zu finden.

Wenn man Mario fragt, warum er sich und seinem Körper Strapazen wie diese zumutet, immer wieder, blickt er ins Weite, kneift die Augen zusammen und sagt schließlich: „Weil es Abenteuer ist. Das ist mir sehr, sehr wichtig.“ Auch Marathon ist er gelaufen, bei 2:43 Stunden steht seine Bestzeit. Das ist sehr gut, aber Spaß, sagt Mario, hat es ihm nicht gemacht. „Da wird schon im Training um jede Sekunde gekämpft“, sagt er. Das mag er nicht, es ist im zu eintönig. Zu wenig Abenteuer. Beim Adventure Race ist das anders. Noch.

Denn auch bei den Abenteuersportlern, kritisiert Mario, rücke das Sportliche immer mehr in den Vorder- und das Abenteuer in den Hintergrund. Schließlich geht es, so wie in Schottland, um Zeiten und Siege. Und um die Qualifikation zum Raid Gauloises. „Der Raid“, wie Mario ihn nennt, ist die inoffizielle Weltmeisterschaft der Abenteuersportler, vielleicht das härteste Rennen der Welt. Letztes Jahr ging es eineinhalb Wochen durch den Dschungel Vietnams, diesen Juni sind die „Himmlischen Berge“ Kirgisiens an der Reihe. Erfunden wurde der Raid Gauloises 1989 in Neuseeland, als „ganz neue Variante des Reisens und Entdeckens“, wie der Franzose Alain Gaimard, einer der Begründer, erzählt. „Aus eigener Kraft in freier, unberührter Natur von einem Punkt an einen hunderte Kilometer entfernten Zielpunkt zu gelangen, mit minimaler Ausrüstung und ohne äußere Hilfe, den Kompasss in der Hand und Sonne und Sterne über dem Kopf“, umschreibt Gaimard schwärmerisch die Uridee des Raid.

Das Outdoor-Spektakel hat längst Nachahmer gefunden. Heute finden jährlich rund 1.000 Abenteuerwettkämpfe der unterschiedlichsten Art und Ausrichtung in rund 40 Ländern statt, von Russland bis nach Kolumbien. Und es hat sich eine Szene gegründet – und mit ihr ein Markt, so ist das ja immer. „Noch“, sagt Gerôme Decisier, Kommunikationschef bei Salomon, dem französischen Sport- und Trekkingartikel-Hersteller, „ist das ein junger und überschaubarer Businessbereich. Aber das geht jetzt los. Das kommt.“ Und seine Firma, da lässt Decisier keine Zweifel aufkommen, will von Anfang an als Marktführer mit von der Partie sein. Rund 600.000 Euro lässt es sich Salomon kosten, als Titelsponsor der X-Adventure-Serie, der insgesamt fünf Qualifikationsrennen zum Raid Gauloises, fungieren zu dürfen. Offensichtlich zahlt sich das aus: Beim Rennen in Schottland ist kaum ein Team am Start, das nicht mindestens einen Ausrüstungsgegenstand von Salomon bei sich führt. „Das hat uns zur Nummer eins im Outdoorbereich gemacht“, sagt der Mann von Salomon. Längst versuchen auch andere Hersteller nachzuziehen.

Die Teams, zumindest die besten, profitieren durchaus von dem sich langsam entwickelnden Wettbewerb, schon weil der zumindest semiprofesionelle Strukturen schafft. In Schottland führen gleich 15 der 48 Mannschaften den Zusatz „Salomon“ in ihrem Namen, kleinen Abenteuer-Werksmannschaften gleich. „Das wird immer professioneller“, sagt Mario. Und je größer die Professionalität und mit ihr das Kalkül, umso kleiner wird das Abenteuer. „Die Top-Teams sehen Rennen wie in Schottland längst als reinen Wettkampfsport. Das Abenteuer bleibt da immer mehr auf der Strecke“, glaubt Mario. Und traurig fügt er an: „Auch wir werden uns in diese Schiene biegen lassen müssen.“ Auch sein Team wird von Salomon gesponsert.

Nur gut, dass es den Raid noch gibt, das wirkliche, das große Abenteuer, nicht nur für Mario. „Der Raid“, sagt der, „ bestimmt einen guten Teil meines Lebens.“ Morgens trainiert er dafür und abends und natürlich am Wochenende. Kraxelt Berge hoch und seilt sich in Schluchten ab, fährt Mountainbike und Inline-Skate, hat reiten und mit dem Kajak umzugehen gelernt. Wie viel Zeit er damit verbringt? Mario zuckt mit den Schultern. Nur so viel: „Dass ich allein lebe, hat auch damit zu tun. Einer Familie wollte ich das nicht zumuten.“ Wie viel Geld dabei draufgeht? „Alles. Das ganze Budget.“ Ob das nicht ein bisschen verrückt ist? „Vielleicht“, sagt Mario. „Auf jeden Fall ist es Abenteuer.“