Wasserfeste Tinte

Zeigt ihr uns, wie man Liebeslieder schreibt? Die Poetikvorlesungen von Falco, Nick Cave und Allen Ginsberg an der Wiener Schule für Dichtung

Falcos Respekt vor der „echten“ Dichtung wäre doch gar nicht nötig gewesen!

von FRANK SCHÄFER

Dass man die Poeterey spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr erlernen, ebenso wenig also lehren kann, weiß man auch in der hierzulande eher unbekannten Wiener Schule für Dichtung. Sie tut es trotzdem. Sie propagiert nicht nur eine konsequente Kleinschreibung, sondern bemüht sich, die Tradition ihrer Mitinitiatoren und Mentoren Ernst Jandl, Gerhard Rühm und H. C. Artmann fortsetzend, vor allem um Avantgardedichtung und legt dabei besonderes Augenmerk auf die gesprochene Poesie.

Um die offenbar ständig von finanziellen Engpässen, mithin existenzbedrohte Akademie, die nicht mal ein eigenes Gebäude besitzt, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, hat nun ihr Leiter Christian Ide Hintze ein abbildungsreiches und überhaupt sehr splendides Erinnerungsalbum zusammengestellt. Besonders gefeaturet werden darin (und auf der dazugehörigen CD) drei Gastdozenten, die den nötigen Pop-Appeal besitzen, um für etwas Medienresonanz zu sorgen: Nick Cave, Falco und Allen Ginsberg.

Die drei konnten augenscheinlich machen, was sie wollten. Cave hält einen sowohl sprachlich als auch intellektuell avancierten Einführungsvortrag, „the love song and how to write one“, der eine eigene kleine Poetik darstellt, die das Liebeslied zur edelsten Gattung aufwertet. Anschließend geht es an die praktische Arbeit. Ein paar Studenten bekommen Gelegenheit zu schwärmen – einen Einblick in den Lehrplan bieten diese Skizzen allerdings nicht. Man hatte zuvor Stillschweigen über die Inhalte der Stunden gelobt.

Die weihevolle, weihrauchschwangere Attitüde in einigen Texten der Teilnehmer, die fast alberne Dichter-Emphase und auch die manchmal ein bisschen durchgeknallten oder auch nur infantilen Happenings wie das nächtliche Schreiben im Thermalbad („lehrer und studenten im badeanzug mit wasserfesten schreibutensilien ausgerüstet“) erklären sich aus den Prämissen der Schule. Man will ja vor allem avantgardistisch sein.

Andererseits sind Christian Ide Hintze und seine drei Gastdozenten durchaus zur Selbstironie fähig. Hintzes hübscher „poetryschoolsong“, bei dem er Sprachsamples von Cave, Ginsberg und Falco mit ein paar Melodierudimenten andickt und einen straighten HipHop-Loop darunterlegt, schließt wunderbar irrsinnig: „the international crazy wisdom poetryschool shall save the human race – bam pa ra ta!“ Am komischsten ist jedoch das Falco-Kapitel, wo eine Studentin offenbar aus Mangel an Berichtenswertem die Ohren ihres Lehrers besingt: „haben nicht seltene meeresmuscheln ebenso ungewöhnliche formen, seltene schneckengehäuse einzigartige windungen? ich rätsle stumm. ob falco die schallwellen anders empfängt und aufnimmt als du und ich?“ Die Frage muss unbeantwortet bleiben. Er stand ohnehin nur für eine Art Werkstattgespräch zur Verfügung (später noch für zwei Auftritte), brachte seine Tage- und Arbeitsbücher mit und ließ die Klasse großzügig Einblick nehmen. Mehr verbat ihm ein devoter, nachgerade komplexbeladener Respekt vor der „echten“ Dichtung eines Jandl, Artmann, Walter Serner, den man diesem alerten Schandmaul nicht zugetraut hätte und der zudem gar nicht nötig gewesen wäre.

Der Herausgeber würdigt denn auch – vermutlich als Erster – in adäquater Weise Falcos genuin literarische Leistung: „falco hat nicht – wie verschiedentlich behauptet – bloß die deutsche sprache in den rap eingeführt. er war einer der ersten, den die mischung mehrerer sprachen in einem einzigen songtext interessiert hat und der dieses interesse mitunter meisterhaft realisiert hat. wienerisch, hochdeutsch, standard-englisch, pidgin-englisch, italienisch, spanisch, jive-talk, slang, comic etc. – und das alles verbunden mit einer sorgfältig kalkulierten, unverwechselbaren, sofort wiedererkennbaren sprache der gebärden.“

Das war mal fällig! Richtig schreibwerkstattmäßig ist es wohl noch am ehesten bei Allen Ginsberg zugegangen, der schließlich auch als Einziger auf eine langjährige Lehrtätigkeit zurückblicken konnte – an der von ihm mitgegründeten Jack Kerouac School of Disembodied Poetics etwa. Ginsberg ist auch der Einzige, der das Geschäft des Dichtens so weit reflektiert hat, um es zu handfesten Maximen kondensieren zu können. Er plädiert für eine welthaltige, unschematische, das Dargestellte individualisierende Poesie. Und seine sehr pragmatischen Direktiven, die er teilweise seinen Freunden und Vorbildern Ezra Pound („the natural object is always the adequate symbol“), William Carlos Williams („no ideas but in things“ und „close to the nose“), Jack Kerouac („details are the life of prose“) und einigen anderen entlehnt, dürften Schriftstellernovizen durchaus nützlich sein. Auch seine „13 schritte der überarbeitung“ liefern ganz praktische Hilfestellung. Am einleuchtendsten, jedenfalls allemal beherzigenswert ist Schritt zehn: „auf schwachpunkte hin prüfen, die du eigentlich nicht magst und nur aus gründen der trägheit im text belassen hast.“ Ach, später vielleicht.

Christian Ide Hintze: „viva la poesia. schule für dichtung – nick cave, falco und allen ginsberg“. Residenz Verlag, Salzburg, Wien, Frankfurt 2002, 262 S., 34,90 € (mit CD)